Die schönsten Aussichtspunkte der Schwäbischen Alb

Eine vergleichende Übersicht von Otto Häcker 

4. Die Randberge des oberen Filstals (Geislinger Alb)

Quelle: Blätter des Schwäbischen Albvereins, XVI. Jahrgang 1904, Nr.12
(2.Fortsetzung)

Das obere Filstal von Süßen bis Wiesensteig mit seinen Rändern bildet den Übergang vom Hohenstaufengebiet zur mittleren Alb im engeren Sinn. Es ist aber nicht ohne selbständige Bedeutung. Im Gegenteil ist es wieder ein sehr ergiebiges und lehrreiches Gebiet. Schon auf unseren bisherigen Wanderungen haben wir einige Mal einen Vorgeschmack davon bekommen, wie der landschaftliche Reiz wächst, sobald zu dem Fernblick aufs Flachland und dem Ausblick auf Vorberge noch der Durchblick durch ein Gebirgstal tritt. Aber erst hier sehen wir erstmals ein Tal von größerer Ausdehnung in den Wettbewerb mit den übrigen Faktoren landschaftlicher Schönheit treten. Dabei hat das Filstal wie kein zweites auf dieser Seite der Alb die Eigentümlichkeit, dass es das Gebirge der Länge nach durchbricht und in seinem ganzen Lauf bis zum Ursprung dem Gebirgsrand ganz nahe bleibt. Dadurch ergeben sich zwei Albränder hintereinander, ein vorderer und ein hinterer Filstalrand.

Der landschaftliche Charakter der beiden Gebirgslinien ist völlig verschieden. Die vordere Bergkette, die wir in Ermangelung eines passenderen Gesamtnamens den Boller Albtrauf nennen wollen (nach dem zu seinen Füßen gelegenen Bad Boll), enthält die eigentlichen Aussichtsberge, und zwar eine ganze Fülle derselben: Fränkel (668 m), Wasserberg (740 m), Fuchseck (735 m), Sielenwang (706 m), Kornberg (778 m), Bossler (795 m) und Aichelberg (561 m). Aber die Fülle ist hier Überfluß. Jeder Punkt zeigt genau dasselbe Bild: das Flachland mit dem üppig fruchtbaren, dörferreichen Albvorland im Vordergrund und mit den Kaiserbergen im Hintergrund, die aber hier nicht wie an den Rändern zwischen Rems und Fils keck gespitzt und launisch durcheinandergeschoben erscheinen, sondern in gleichmütiger Ruhe breitgestreckt über dem Flachland brüten. Es genügt also, einen dieser Aussichtspunkte aufzusuchen, am besten einen der im Vorbeigehen zu berührenden Eckpunkte, sei es im Osten den Fränkel (auch Hörnle genannt), einen Vorhügel des Michelsbergs, an seiner wurstförmigen Waldmütze erkenntlich, oder im Westen den Aichelberg. Beide haben vor den dazwischen liegenden höheren Gipfeln den Vorzug, dass sie das Boller Albvorland in profilartiger Verkürzung zeigen, die seinen Reiz erhöht, und überdies freie Ausblicke nach den benachbarten Waldgebieten gestatten. Namentlich der weit vorgeschobene Aichelberg ist trotz seiner unbedeutenden Höhe wohl der ausgezeichnetste Aussichtspunkt der ganzen Gruppe, wenigstens solange der Turmberg (605 m) noch seines Turmes harrt, jene schöngeformte Waldkuppe, zu welcher der Aichelberg nur ein Anhängsel bildet.

Im allgemeinen bedarf ja die Alb der Aussichtstürme nicht; denn die meisten Albberge haben oben Felsen. Aber der Turmberg ist einer der wenigen Punkte, die einen Turmbau geradezu herausfordern, zumal wenn der Berg künftig durch die Bahnen Göppingen - Boll und Kirchheim - Weilheim leichter erreichbar ist. Er würde eine Frontansicht der Schwäbischen Alb von ähnlichem Reiz bieten wie der Floriansberg.

Lautet also über diesen Albteil das Urteil: "Überall schön, aber überall gleich", so wird die landschaftliche Ernte entschieden ergiebiger, wenn wir hinten herum wandern, dem vielgewundenen Filstal folgend. Hier heißt's: "Überall schön und überall wieder anders!" - Freilich wenn man im Tal bleibt, hat man nicht den vierten Teil des Genußes. Die allgemeine Erfahrung, dass die Täler an Schönheit gewinnen, wenn man sie von der Höhe betrachtet, gilt in erhöhtem Grade von den Tälern der Neckarseite der Schwäbischen Alb, deren scharfe Felsenkanten allenthalben günstige Höhenstandorte, ja ganze Talkantenwanderungen gestatten und nicht bloß Talansichten, sondern meist zugleich Fernblicke ins Unterland hinaus oder in die Hochebene hinein ermöglichen.

Schon die untere Strecke des Juradurchbruchs der Fils von Süßen bis Geislingen mit dem Rohrachtal als natürlicher Fortsetzung bietet hervorragende Randhöhen. Zwar zur Rechten der Tegelberg (692 m) mit den Kuhfelsen ob Kuchen ist weniger für sich allein lohnend, als weil er den schönsten Zugang zur Kuchalb bildet. Auch Helfenstein und Ödenturm (635 m) ob Geislingen sind keine besonders glücklichen Standorte. Aber der noch wenig beachtete Galgenbergfels am Rohrachtalrand, vom Ödenturm auf ebenem Randweg in 20 Minuten zu erreichen, gehört mit seinem entzückenden Taldurchblick auf den Hohenstaufen schon zum Schönsten, was die Gegend bietet. Noch bedeutender aber ist der linkseitige Rand mit Michelsberg und Schildwacht.

Die Berginsel Michelsberg (750 m) verdient dasselbe Lob, das wir oben dem Rosenstein gespendet haben: sie vereinigt auf kleinem Raum so viele und so verschiedene Naturschönheiten, so mannigfaltige Blicke in die Enge und die Weite, dass ein Fremder, dem die Zeit nur zum Besuch eines einzigen Berges reicht, kaum ein geeigneteres Ziel finden kann. Treten wir von Süßen oder Gingen über die Vorstufe des Grünenbergs die Michelsbergwanderung an, so gelangen wir, nach dem kurzen Abstecher zum schon erwähnten Fränkel, auf die hübsche Heidekuppe des Burren (693 m) mit anmutiger Rundsicht, dann über den bewaldeten Spitzenberg (702 m, mit hübschem Walddurchblick auf Geislingen) hinaus zu den Ramsfelsen (724 m), der über den Obstwald von Kuchen hereinragt. Dass dieser Punkt meist bei Seite gelassen wird, ist ein Fehler; denn er ist der schönste Aussichtspunkt des Michelsbergs, fast der gegenüberliegenden Kuchalb ebenbürtig. Nirgends zeigt sich der Austritt der Fils aus dem Gebirge anschaulicher und eindrucksvoller; nirgends hat die Gruppe der Kaiserberge mit ihren Trabanten Staufeneck und Ramsberg eine wirksamere Umrahmung als hier durch die beiden Eckpfeiler des Filstals, Spitzenberg und Hohenstein. Einen ähnlich schönen Blick, noch bereichert durch den Einblick ins reizende Eybtal, bietet die Ostecke des Michelsbergs, genannt Altenstadter Berg oder Dreimännersitz (625 m). Schreiten wir über das Dörflein Oberböhringen, dem die Ackerfläche des Michelsbergs Raum gewährt hat und dessen Wasserleitungshügel (741 m) eine beherrschende Rundschau bietet, zum Südwestrand hinüber, so enthüllt sich auf den großartigen Hausener Felsen mit ihrem Einblick in die Bergwelt des oberen Filstals wieder ein ganz neues, überraschendes Landschaftsbild, das an eigenartiger Schönheit der Aussicht vom Ramsfelsen wenig nachgibt und mit dieser keinen Punkt gemeinsam hat.

Mit seiner Südseite gehört der Michelsberg schon dem oberen Filstal im engern Sinn oder "Geißentäle" an und ist die erste der sechs Berginseln, die dessen nördlichen Rand bilden. Die übrigen fünf, deren Stirnseite wir schon eingangs dieses Abschnitts erwähnt haben, können wir als verhältnismäßig minderwertig übergehen und wenden uns dafür mit um so größerer Aufmerksamkeit dem jenseitigen, südlichen Filstalrand zu. Im Gegensatz zur zerrissenen Nordseite bildet der Talrand hier eine zusammenhängende, fast ebene, wenn auch vielfach gezackte Linie und ermöglicht so eine tagelange Höhenrandwanderung, wie sie auf der ganzen Alb kaum irgendwo abwechslungsreicher und eigenartiger gefunden wird. Mindestens alle Viertelstunden kommt ein Aussichtsfels, jedesmal wieder mit verändertem Talbild. Und es sind nicht bloß Talblicke, sondern zugleich Fernsichten; denn keinem der Felsenpunkte fehlt ein Stück Flachlandaussicht durch irgend eine Lücke der gegenüberliegenden Talseite, und stets schmückt den Fernblick einer der schöngeformten Vorberge Staufen, Rechberg, Stuifen, zu deren Kraftgestalten sich noch zwei trefflich geformte Kegel im Tal selbst gesellen: der zuckerhutförmige Weigoldsberg und die kreisrunde Hiltenburg. Sind auch die einzelnen Aussichtspunkte für sich betrachtet nicht so reich und großartig wie die Hauptpunkte der Nachbargebiete, so bietet doch ihr ergänzendes Zusammenwirken einen Aussichtsweg ersten Ranges, welcher der Michelsberg-Rundwanderung ebenbürtig zur Seite steht, ja wegen der bequemeren Gangbarkeit ihr noch vorgezogen werden mag.

Beginnen wir von Geislingen aus mit dem Geiselstein, der nur einen abgeschiedenen, aber hübschen Blick in die Rohrachschlucht gewährt, so erreichen wir auf der Schildwacht (665 m), der Bergecke zwischen Rohrach und Fils, mit ihrem freien Blick durchs untere Filstal zum Hohenstaufen, schon einen der Hauptpunkte. Es folgt der Kahlenstein (680 m) mit überraschendem Blick in den Überkinger Talkessel und zum merkwürdigen Weigoldsberg, dann der versteckt hinter den Häusern von Türkheim liegende Türkheimer Burgstall (676 m) mit ähnlicher, aber noch glücklicherer Gruppierung, ein Lieblingspunkt jedes Besuchers. Über die einsamen und ziemlich unwegsamen Bühringer Schloßfelsen (716 m) oder auf abkürzender Fahrstraße wird das beherrschend gelegene Hochbecken von Aufhausen (750 m) mit seiner Lindengruppe erreicht, wiederum ein Glanzpunkt mit freier Rundsicht und entzückendem Taldurchblick bis zum Eybacher Himmelsfelsen. Dann geht's über die Duchstetter Höhe (785 m), den höchsten Punkt der ganzen Gegend mit ähnlicher, noch umfassenderer Rundsicht, zu den Bernecker Felsen (776 m), von denen der westliche einen freien Blick in den Talkessel von Deggingen mit der reizend gelegenen Wallfahrtskirche Ave Maria und hinaus auf alle drei Kaiserberge gewährt, so schön, dass man versucht wäre, diesem Punkt den ersten Preis zuzuerkennen, wenn überhaupt bei den einzelnen Punkten dieses Höhenwegs ein Vergleichen am Platz wäre. Der nahe Oberbergfelsen endlich (750 m), ein mit Unrecht meist übergangener Punkt, zeigt wieder eine ganz neue, prächtige Partie: den Talkessel von Ditzenbach mit der Hiltenburg. Damit ist die Glanzstrecke des Höhenwegs zu Ende; wir steigen von der Schonterhöhe auf der aussichtsreichen Straße oder auf dem weiteren und beschwerlicheren Randweg über den Badstein (mit malerischem Talblick) und die Hiltenburg (mit unbedeutender Aussicht) nach Ditzenbach hinab. Die weitere Randwanderung über den Tierstein ob Gosbach nach Drackenstein wird immer beschwerlicher und weniger lohnend; Drackenstein besucht man besser als Abstecher vom Tal aus.

Auch um Wiesensteig herum gibt's nichts, was davon abhalten könnte, rasch dem Reußenstein als erstem Punkt der Kirchheimer Alb zuzustreben und damit wieder in eine neue Welt einzutreten. Zwar werden die Höhen um Hohenstadt und Westerheim mit Punkten bis zu 843 m von älteren Reiseführern wegen ihrer Alpenfernsicht empfohlen. Seit man aber weiß, dass fast alle den Durchschnitt überragenden Höhen der Alb, insbesondere auch die meisten höheren Randpunkte, Alpenaussicht haben, wird kein Verständiger dieses Genusses wegen das einförmige Innere der Hochebene durchstreifen. Überhaupt sehen wir besser davon ab, der Alpenfernsicht, die in der guten Jahreszeit so selten ist, eine erhebliche Rolle bei der landschaftlichen Würdigung der Schwäbischen Alb beizumessen. Die Alb hat das gar nicht nötig, und der Fremde, der die Schwäbische Alb kennen lernen will, hat meist sehr wenig Bedürfnis, nach den fernen Alpen zu spähen, zu denen er ja hinreisen könnte, wenn er wollte.

Impressum
Datenschutzerklärung
© 2025 Schwäbischer Albverein Ortsgruppe Ellwangen