Eine der bequemsten und genussreichsten Randwanderungen bildet gleich die erste Strecke unseres Gebiets, der Ostrand des Neidlinger Tals vom Aichelberg bis zum Reußenstein. Diese Wanderlinie, die den geeignetsten Zugang vom Neckartal zum Reußenstein und damit für die von dieser Richtung herkommenden Wanderer den besten Eröffnungsmarsch der Zentralalb bildet, verdient mehr bekannt zu werden. Sie enthält zwar keine Einzelpunkte von zugkräftigem Klang; als Ganzes betrachtet darf sie aber den Rang einer Aussichtsstrecke ersten Rangs beanspruchen, und zur vollständigen Kenntnis des Neidlinger Tals ist sie notwendig. Denn auf der anderen Talseite oder gar in der Talsohle bekommt man keinen richtigen Begriff von dessen Schönheit, und auch hinten auf dem Reußenstein ist der landschaftliche Eindruck kein vollständiger. Der Reiz dieser Wanderung wird auch dadurch erhöht, dass sie in zwei verschiedenartige Hälften zerfällt, einen Gratweg in halber Höhe (200 m über dem Tal) und einen Talrandweg in voller Gebirgskammhöhe (400 m über dem Tal).
Von dem schon im vorigen Abschnitt gerühmten Aichelberg führt zunächst der streckenweise noch verbesserungsbedürftige Gratweg über ein waldiges Vorgebirge mit Doppelaussicht (einerseits nach dem Neidlinger Tal und der Zentralalb, andererseits nach dem Boller Albvorland und dem Hohenstaufengebiet) zum Bossler (806 m), dem gewaltigen Eckpfeiler der Filsalb, der im Verein mit dem gegenüberliegenden Breitenstein den Eingang des Neidlinger Tals bewacht. Die derzeit stark verwachsene Aussicht vom vorderen Gipfel befriedigt zwar nicht in dem Maß, wie es dieser beherrschende Punkt vermuten läßt, und bietet wenigstens für den von vorn Herkommenden wenig Neues. Um so reizvoller wird's beim Weiterwandern, wenn sich beim "Gruibinger Wiesle" über den großen Erdschliffen das Neidlinger Tal auftut. Die ganze, neuerdings gangbar gemachte Randstrecke von da bis zur Poststraße Neidlingen - Wiesensteig bildet einen Aussichtsweg von malerischem Reiz mit zahlreichen Felsenstandpunkten, wobei namentlich die Verschiebungen des keck ins Tal vorgestreckten kegelförmigen Erkenbergs für die gehörige Abwechslung sorgen. Für die von Wiesensteig herkommenden Besucher des Reußensteins, denen diese Randstrecke nicht auf dem Weg liegt, genügt es, wenn sie von der Paßhöhe an der Poststraße beim Eckhof (736 m) einen viertelstündigen Abstecher nach rechts zum nächsten Randvorsprung machen, der den Namen Anger führt und wohl als der schönste Aussichtspunkt des Neidlinger Tals gelten darf.
Das selbstverständliche Ziel aller Besucher des Neidlinger Tals bildet mit Recht die im hintersten Talwinkel gelegene Burgruine Reußenstein (751 m). Wenn auch an Vollkommenheit der Aussicht einige uns schon bekannte Talrandpunkte voranstehen, so ist doch auch hier der Durchblick aus der Felsenenge hinaus ins hell abgetönte Unterland noch reizend genug, um in Verbindung mit der wilden Größe der Felsenruine selbst diesem stimmungsvollen Platz den Rang eines der Glanzpunkte der Schwäbischen Alb dauernd zu sichern.
Der Westrand des Neidlinger Tals vom Reußenstein zum Breitenstein ist als Verbindungsstrecke zwischen Teck und Reußenstein wichtig und viel begangen. Die Gebirgskanten sind aber hier zu zerrissen, um eine zusammenhängende Randwanderung zu ermöglichen, und nicht so aussichtsreich wie der Ostrand des Tals. Aber zwei Sehenswürdigkeiten machen auch diese Strecke lohnend, der Heimenstein (763 m) mit seinem Felsenloch und schönem Rückblick auf den gegenüberliegenden Reußenstein, und das Randecker Maar (732 m), das nicht nur geologisches Interesse als augenfälligste Erscheinung des Vulkangebiets der Zentralalb verdient, sondern auch landschaftlich eine allerliebste Überraschung bereitet. Bei der Wanderung um den oberen Kraterrand treten nämlich nach einander wie in einem Wandeldiorama sämtliche Albkegel zwischen Teck und Albuch in die Lücke, die durch die Abbruchstelle des Kraters freigelassen ist: Limburg, Aichelberg-Turmberg, Hohenstaufen, Rechberg, Stuifen.
Heimenstein und Randecker Maar gehören bereits der gewaltigen Berghalbinsel an, die sich zwischen Neidlinger und Lenninger Tal bis zu 827 m Meereshöhe erhebt und die wir in Ermangelung eines besseren Gesamtnamens die Schopflocher Platte nennen wollen (nach dem größeren der beiden auf ihrem Rücken liegenden Dörfer). Die Stirnseite dieses Gebirgsstücks zieren drei hochbedeutsame Bergpunkte: der Vorberg Teck und die Randvorsprünge Breitenstein und Rauber.
Die Teck (775 m, Turmhöhe 800 m), oder richtiger der Teckberg mit der Ruine Teck, ist als eine der hervorragendsten Zierden der Schwäbischen Alb längst anerkannt, und ihr Ruhm ist noch gewachsen, seit die zerfallene Burg wieder einen Ersatz gefunden hat in dem bis ins fernste Unterland sichtbaren Aussichtsturm. Dabei zeichnet sich der Berg vor allen anderen Albbergen durch seine proteusartige Vielgestaltigkeit aus. Jeder Schwabe kennt die Teck, aber jeder hat wieder ein anderes Erinnerungsbild von ihr, je nach der Lage seines Heimatorts: dem Einen ist sie eine schlanke, hochragende Kuppe mit dem Turm in der Mitte, dem Andern eine wellig ins Unterland hereingeschwungene Nase mit schief wie ein Nasenklemmer aufgesetzten Türmchen, dann wieder ein langer Waldrücken oder ein breit gelagerter Doppelgipfel. Auch als Aussichtspunkt besitzt die Teck einen fest begründeten Ruf. Um den Rang des bedeutendsten Aussichtsbergs zwischen Hohenstaufen und Rossberg streitet sich übrigens mit ihr der benachbarte Breitenstein, der noch um einige Meter höher ist (811 m) und stofflich so ziemlich dieselbe Rundschau bietet: vorn ein unermeßliches Stück Unterland, hinten ein beträchtliches Stück Alboberfläche, rechts und links den Albrand mit seinen Vorbergen in eng gehäuften Gruppen, deren Glanzpunkte rechts die Kaiserberge, links Neuffen und Achalm sind. Aber trotz dieser Gleichartigkeit des Stoffs macht keiner der beiden Berge den andern entbehrlich: der Teckberg hat außer der geschichtlichen Berühmtheit die schönen Felspartien, den köstlichen Bergwald, den reizvollen Gratweg voraus; der Breitenstein aber hat nicht nur den praktischen Vorzug, dass er auf der Höhenwanderlinie im Vorbeigehen berührt wird, sondern er hat auch als Aussichtspunkt bemerkenswerte Vorzüge. Während nämlich auf der Teck der Beschauer gleichsam zu nackt, zu ungedeckt im Flachland drin steht und zu aufdringlich von ihm umringt wird, genießt der Breitenstein den schon früher gerühmten Vorzug der Randpunkte, denen eine Vorberg (nämlich hier der Teckberg selbst) Deckung, Vordergrund, "Staffage" verleiht. - Noch viel herrlicher aber tritt dieser landschaftliche Vorzug in Wirksamkeit, wenn wir vom Breitenstein noch ein halbes Stündchen westwärts herüberwandern zum Rauber (oder Diepoldsburg, 791 m). Der vom Breitenstein aus gesehen noch zu langgedehnte Teckberg hat sich hier eng zusammengewunden und offenbart jetzt erst als Mittelpunkt des Landschaftsbilds seine vollkommene Schönheit. Treten wir vom Diepoldsburger Hof auf der felsigen, mit anmutigen Tannengruppen geschmückten Bergnase vor, bis die wohlerhaltene Ruine Rauber (die unterste der drei Burgen der Diepolde) als Vordergrund ins Bild tritt, so fühlen wir uns sofort an einen jener auserlesenen Punkte versetzt, wo man sagen kann, dass die Landschaft durch glückliche Zusammenfügung sich selbst übertroffen habe. Doch möge der Wanderer auch den Besuch des höchsten Punktes der Diepoldsburger Höhe nicht versäumen, des unmittelbar südlich vom Diepoldsburger Hof oder östlich vom Engelhof ansteigendenden Heidehügels Braike (804 m). Hier, wo die Albhochfläche selbst mit den genannten beiden gastlichen Höfen einen angenehmen Vordergrund bildet, genießen wir noch einmal dasselbe schöne Bild von freierem Standpunkt aus als vorn auf dem Bergrücken, wo die emporwachsenden Tannen den Umblick zu verhüllen drohen. Freilich die Hohenstaufenlandschaft verbirgt der nahe Breitenstein und mahnt uns, dass er neben dem Rauber nicht unbesucht bleiben soll. Beide Punkte ergänzen sich gegenseitig; in ihrer Ergänzung aber bieten sie, wie mir dünkt, mehr als die Teck und mögen vorgezogen werden, wenn der eilige Wanderer einen Auswahl treffen muss.