Die schönsten Aussichtspunkte der Schwäbischen Alb

Eine vergleichende Übersicht von Otto Häcker 

10. Donauseite der Alb

Quelle: Blätter des Schwäbischen Albvereins, XVIII. Jahrgang 1906, Nr.5
(12.Fortsetzung)

  1. Von Tuttlingen bis Scheer
  2. Von Scheer bis Munderkingen
  3. Von Munderkingen bis Elchingen
  4. Von Elchingen bis Donauwörth

Von der Donauseite der Schwäbischen Alb haben wir im ersten und neunten Abschnitt die beiden Flügelstücke vorausbehandelt, wo die strenge Scheidung zwischen Neckarsteilrand und Donauflachhang durch vulkanische Störungen verwischt ist. Es fehlt uns aber noch die ganze, über 120 km in der Luftlinie betragende Haupt- und Mittelstrecke zwischen Heuberg und Härtsfeld. Mit einigem Schrecken wird der Leser, der sich durch den reichen Stoff des Neckartraufs der Alb durchgearbeitet hat, die Frage tun, ob er denn nun diesen ganzen Weg auf der anderen Seite noch einmal machen müsse. Wenn er die Albvereinshauptlinie fragt, so lautet die Antwort bejahend. Diese Weglinie führt den Fußgänger, der von Nördlingen her nach zwölftägiger Wanderung (übrigens mit Beiseitelassung vieler Hauptpunkte!) in Tuttlingen angelangt ist, auf der andern Seite in zehn Tagen nach Nördlingen zurück. Und es ist wahr: auch diese Seite der Alb, wenn sie bei oberflächlicher Betrachtung vielleicht als eine langweilige Ebene erscheinen mag, birgt bei genauerem Besehen eine reiche Fülle landschaftlicher Kleinode, die in ihrer Art den Schönheiten der Neckarseite durchaus ebenbürtig sind und bei der Verschiedenheit ihres Charakters auch auf den frisch von dort herkommenden Wanderer ihren Eindruck nicht verfehlen. Aber diese Schmuckstücke liegen nicht wie auf der Neckarseite der Alb gleichsam in Paradefront an der Heerstraße aufgepflanzt, sondern in Gruppen verteilt und im Erdboden versteckt, geheimen Goldadern gleich, deren oft launenhaften Windungen der Wanderer nachspüren, um die Schätze zu heben. Und so erscheint eine zusammenhängende Längswanderung, wie sie die Albvereinslinie vorschlägt, auf dieser Seite der Alb nicht zweckmäßig: sie bietet teils zu viel, teils zu wenig. Zu viel insofern, als dem ganzen Südostsaum der Alb entlang Eisenbahnlinien zur Verfügung stehen, um die reizloseren Zwischenstrecken zwischen den einzelnen Gruppen rasch und bequem abzumachen, zu wenig insofern, als ein großer Teil der Landschaftsreize in querliegenden Seitentälern zu finden ist, die in eine Längswanderung nur mittelst zeitraubender Abstecher einbezogen werden können. Vielmehr empfiehlt es sich, den Reisestoff in einzelne Stücke zu zerlegen, die mit Benützung der Querbahnen oder der Quertalwanderstrecken in die zusammenhängende Neckartrauf-Längswanderung an passenden Stellen eingeschoben werden können. Eine derartige Abwechslung zwischen den beiden gegensätzlichen Gebirgsseiten ist auch das beste Mittel, den Geist frisch zu erhalten; und auf diese Weise bereist, vermag auch die obeschwäbische Hochebene, die bei Streckenwanderungen bald langweilig wird, tiefe, ergreifende Wirkungen zu erziehlen. Denn es gehört zu den gelungensten jener landschaftlichen Überraschungen, an denen die Alb so reich ist, wenn eine lange Talfahrt durch die Felsenengen eines der Donauseitenflüßchen den Wanderer an eine Randhöhe des Donautals hinausgeführt hat, wo den lange gefesselten Blick diese neue Welt mit ihrer befreienden, lichtvollen Weite umfängt.

So ergeben sich für den Reisestoff auf dieser Albseite vier Hauptgruppen:
  1. die Donau von Tuttlingen bis Scheer mit ihren Seitentälern, insbesondere Schmiecha und Lauchert,
  2. die Donau von Scheer bis Munderkingen mit Zwiefalter Aach und Großer Lauter,
  3. die Donau von Munderkingen bis Elchingen mit Schmiech und Blau,
  4. die Donau von Elchingen bis Donauwörth mit Brenz und Egau.

Da wir gerade am oberen Ende der Alb stehen, so wählen wir diese dem Lauf der Donau folgende Ordnung, jedoch mit dem Bemerken, dass im praktischen Wanderplan sich die umgekehrte Reihenfolge empfiehlt, weil, wie am Neckartrauf, so auch hier die Landschaft in der Richtung von Nordosten nach Südwesten im allgemeinen an Großartigkeit zunimmt.

Da diese Abhandlung sich ja nur mit den Aussichtspunkten der Alb beschäftigen will, auf der Donauseite aber der Schwerpunkt in den Tälern liegt, so werden wir hier rascher fertig werden und können uns in der Hauptsache darauf beschränken, von den vielen wesensähnlichen Höhenpunkten, die einen Überblick über die Hochebene bieten, die wenigen hervorzuheben, die durch besonders günstige Zusammenstellung des Vordergrundes Eigenart besitzen. Freilich sollte der Landschaftsfreund auch in den Tälern nicht versäumen, von Zeit zu Zeit an einer der Randhöhen hinanzusteigen, um eine Gesamtansicht des Talbilds von oben zu gewinnen. Die kleine Mühe belohnt sich reichlich durch die wunderbare geistige Erfrischung, die nach einer längeren Talwanderung ein solcher Überblick gewährt. Doch sind die zu diesem Zweck geeigneten Höhenpunkte, die eine lohnende Umschau über eine längere Talstrecke gewähren, bei einiger Aufmerksamkeit leicht ohne Führung im Vorbeigehen aufzufinden. Denn sie fallen schon von unten dadurch auf, dass sie - kraft notwendiger Wechselwirkung - schon von fern sichtbar werden und längere Zeit sichtbar bleiben. Weiterer Kennzeichen bedarf es nicht; im Gegenteil ist es besser, wenn sie nicht zugleich mit Burgen oder sonstigen Schaustücken geschmückt sind, sondern eher solchen Zierden der Landschaft gegenüberliegen. Ist die Anhöhe bewaldet, so lässt sich doch leicht vom Tal aus beurteilen, ob Lücken da sind, die Ausblicke gestatten.

I. Von Tuttlingen bis Scheer

Die erste der vier Hauptgruppen, die Donautalstrecke von Tuttlingen bis Scheer, lässt sich in eine zusammenhängende Albreise am besten als Übergang vom Eyachtal zum Hegau mit Benützung der Zollerbahn oder für solche, die den Heubergtrauf zum Übergang wählen, als Abstecher von Tuttlingen aus, oder endlich für solche, die vom Lichtenstein her durchs Laucherttal nach Sigmaringen reisen und mit der Zollerbahn zur Neckarseite zurückkehren wollen, als Abstecher von Sigmaringen - Inzigkofen aus einschieben. Die Donau bildet hier noch nicht, wie von Scheer an abwärts, die Südgrenze der Alb, sondern hat die Laune gehabt, sich parallel mit dem ganz nahen Südsaum einen 15stündigen Felsenweg durchs Innere des Albgesteins zu brechen. Die merkwürdige Landschaft zerfällt wieder in drei verschieden Teilstrecken, die durch die Punkte Fridingen und Inzigkofen abgegrenzt sind.

Die zweieinhalbstündige Strecke von Tuttlingen bis Fridingen hat im Haupttal und noch mehr in den Seitentälern - dem wasserlosen, tiefeinsamen Ursental bei Nendingen, dem anmutigen Lippachtal bei Mülheim und dem langen, zweiarmigen Beeratal (oder Bärental) bei Fridingen manch anziehende Felslandschaften, die aber doch nicht bedeutend genug sind, um angesichts der Menge sonstigen Stoffs einen Zeitaufwand zu lohnen.

Ein Meisterwerk der Natur ist dagegen die zehnstündige Mittelstrecke von Fridingen bis Inzigkofen. Angesichts des immer noch verhältnismäßig spärlichen Fremdenverkehrs kann nicht genug betont werden, dass dieser große Juradurchbruch der Donau zu den allerhervorragendsten Flusslandschaften Deutschlands gezählt werden darf, ebenbürtig den berühmtesten Strecke des Rheins und der Mosel. Ist auch der Fluss selbst von bescheidener Wassermenge - das meiste Donauwasser ist ja bei Immendingen im Boden verschwunden -, so ist dafür die Ausstattung der Bergwände mit bedeutenden Felspartien, denen auch der Schmuck der Burgen und Ruinen nicht fehlt, um so reicher; und wunderbar wohltuend ist die milde, anmutsvolle Gesamtstimmung, die bei aller Kühnheit der Formen über den friedlich abgeschiedenen Talbilder ausgegossen ist. Hier ist's schlecht angebracht, im Schnellmarsch die Gegend zu durchqueren oder gar nur mit der Bahn zu durchsausen. Am besten ist's, man setzt sich ein paar Tage nach Beuron, dem einzigen Platz der Alb, der einen Zug von modernem Kurleben an sich hat, und streift von hier aus mit Muße im Tal auf und ab.

Auch bei dieser Glanzstrecke des Donautals müssen wir wieder drei Stücke von verschiedenem Charakter unterscheiden. Auf der oberen Partie von Fridingen bis Beuron und wieder auf der unteren von Tiergarten bis Inzigkofen hat die Donau mehr Feinarbeit verrichtet. Die Felsen, durch die sich der Fluss windet, reichen bis in den Wasserspiegel hinab und liefern eine Fülle entzückender Kleinbilder, die von der Talsohle aus gesehen am günstigsten wirken. Die Ruine Kallenberg (778 m) und das Schlösschen Bronnen (786 m) auf der obern Strecke, der Felsenpark von Inzigkofen (629 m) und die Ruine Gebrochen Gutenstein (700 m) auf der unteren bieten hinreichend Gelegenheit zu Talüberblicken. - Auf der Mittelstrecke zwischen Beuron und Tiergarten, die nach dem in der Mitte gelegenen Hauptort Hausen das Hausener Tal oder nach ihrem hervorragendsten Schmuckstück die Werenwager Talstrecke genannt werden kann, nimmt dagegen die Landschaft einen Zug ins Großartige an. Das Tal erweitert sich hier ein wenig und verläuft zwei Stunden lang im wesentlichen geradlinig. Infolgedessen spielen die Randhöhen auf dieser Strecke eine wichtigere Rolle. Zwar reicht ihr Gesichtskreis wenig über das Tal hinaus - was auch wenig Wert hätte -, aber manche von ihnen beherrschen das Tal auf so weite Ausdehnung, dass sie sich wohl zur Gattung der Aussichtspunkte rechnen dürfen. - Gewöhnlich beschränken sich die Fremden darauf, zu einem der drei hauptsächlichsten Schaustücke der Strecke emporzusteigen: Burg Wildenstein (790 m), Burg Werenwag (775 m) und Ruine Hausen (750 m). Aber die günstigsten Aussichtspunkte sind das nicht. Vom landschaftlichen Standpunkt aus sind drei andere Punkte vorzuziehen: der Schaufels am unteren Ende der Strecke, der Aichfels in der Mitte und der Rosenhaldenfels am oberen Ende.

Der Schaufels bei Neidingen (750 m) ist der bekannteste dieser drei Glanzpunkte. Er ist auch der Ehre gewürdigt worden, von der Hauptlinie des Albvereins berührt zu werden, der einen trefflichen Felsenpfad über seinen Scheitel angelegt hat. Fürwahr! ein Schaufels im wahren Sinn des Worts: ein Fels zum Anschauen - denn er ist der großartigste Felsenberg des Donautals -, und ein Fels zum Hinabschauen - denn er hat sich in so kecker Querstellung als Abschluss des Hausener Tals dem Donaulauf entgegengestellt, dass er die malerischen Talwindungen zwei Stunden weit bis hinauf zu den Beuroner Felsen beherrscht. Der überwältigende, besonders bei Morgenbeleuchtung günstige Tiefblick vom Scheitel der ungeheuren Felsmasse, die doch bei näherem Besehen in zierliche Felsnadeln zergliedert ist, erinnert an die Bastei in der Sächsischen Schweiz. Der landschaftlich günstigste Standpunkt liegt einige Minuten nördlich vom Hauptfelsen an der kesselförmig gebuchteten Waldwand, wo einerseits Schloss Werenwag freiliegt, andererseits schon die Hauptmasse des Schaufelsen selbst mit ins Sehfeld rückt.

Der Aichfels bei Irrendorf (Irndorf, 785 m) ist nächst dem Schaufelsen der großartigste Fels des Tals. Seine Aussicht übertrifft womöglich noch diejenige des Schaufelsen und ist ihr jedenfalls bei Abendbeleuchtung vorzuziehen. Der Blick durchs Hausener Tal, der an der Burg Werenwag vorbei hinabdringt bis zur Neidinger Mühle am Fuß des Schaufelsen, ist hier noch bereichert durch die Ansicht einer zweiten Burg, des gegenüberliegenden Wildensteins. - Einen Ersatz für den nicht ganz leicht auffindbaren Aichfelsen bietet für Bequemere das Käpfle bei der Mauruskapelle, ein felsiges, in eine Flussschleife eingeschobenes Vorgebirge mit verschiedenen Ausblicken, von denen namentlich derjenige bei "Vögeles Ruhebank" ob dem Eisenbahntunnel einen ähnlichen Doppelblick auf Wildenstein und Werenwag bildet wie der Aichfels.

Der dritte Hauptpunkt dieser Glanzstrecke, der aber eigentlich noch der Zukunft angehört, ist der noch ganz unbekannte Rosenhaldenfels bei Beuron (800 m), dicht im Süden des Klosters über der Katharinenkapelle gelegen, vom Steighof westwärts über ebene Wiesen in fünf Minuten zu erreichen. Er zeichnet sich durch einen bezaubernden Doppelblick aus, einerseits (nordwärts) auf den Felsenkessel von Beuron, der sich von seiner günstigsten Seite darstellt, überragt von dem hochragenden Albdorf Irrendorf und geschmückt durch einen reizenden Fernblick auf Schloss Werenwag, andererseits (südwärts) ins dunkle Liebfrauental, dessen Hintergrund das nahe Schlösschen Bronnen schmückt. Der Albverein wird sich ein Verdienst erwerben, wenn er diesen schönsten Felsenaussichtspunkt Beurons aus seiner Dornröschenwildnis befreit. Einstweilen möge als Ersatz dienen ein jenseits der Donau westlich von Beuron beim Rennfeldersteig unweit der Bärentalerstraße und des "Soldatenfriedhofs" gelegener Fels namens "Tagessetze" mit ähnlichem Prachtblick auf Beuron und Wildenstein.

Das letzte Stück dieses ersten und größten Albdurchbruchs der Donau, die zweistündige Strecke von Inzigkofen bis Scheer bildet schon den Übergang zur Ebene. Die Donau hat ihre Brecharbeit nahezu vollendet; nur zwei vereinzelte Felsriegel stellen sich ihr noch in den Weg, von denen jeder mit einer malerischen Burg und Stadt besetzt ist, Sigmaringen und Scheer. Diesem landschaftlichen Charakter gemäß mag sich der Reisende darauf beschränken, diese Talstrecke mit der Bahn zurückzulegen und nur an den zwei genannten Punkten - oder zum mindesten in Sigmaringen - kurzen Aufenthalt zu nehmen. Zur Betrachtung der Landschaft genügt es, an jedem der beiden Orte eine jenseits der Donau liegende Anhöhe zu besuchen, die das beste Gesamtbild gewährt: in Sigmaringen den mit Anlagen geschmückten Mühlberg (625 m), in Scheer den Waldrand des Schachen (644 m) über der Vorstadt Bartelstein. - Der größere Teil des landschaftlichen Stoffs liegt auf dieser Strecke in zwei großen Seitentälern, dem Schmiecha- und Laucherttal. Dass im Schmiechatal die Höhen um Ebingen als Aussichtspunkte bemerkenswert sind, ist schon im 7.Abschnitt gesagt worden. Für das untere Schmiechatal (hier Schmeietal genannt) genügt die Besichtigung vom Eisenbahnwagen aus. Das an hübschen Talbildern reiche Laucherttal eignet sich für Radfahrer oder rüstige Fußgänger als Verbindungsstrecke zwischen Neckar- und Donauseite. Mit dem Aufsuchen von Höhenpunkten möge sich der Reisende hier nicht aufhalten. Zwar wird die zwischen Lauchert- und Schmeietal gelegene Fürstenhöhe bei Oberschmeien (770 m) als bedeutendster Aussichtspunkt der Gegend gerühmt. Aber mangels jeglicher Talblicke lohnt der Punkt einen Besuch nur, wenn Alpenfernsicht zu erwarten ist und ein langer Talmarsch das Auge für die Reize der Hochebene empfänglich gemacht hat.

Bei Beuron (6 km entfernt) befindet sich auch der beste Alpenfernsichtspunkt der Alb zwischen Witthoh und Bussen, der Buchheimer Hans (Aussichtsturm, 811 m).
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Quelle: Blätter des Schwäbischen Albvereins, XVIII. Jahrgang 1906, Nr.7
(13.Fortsetzung)

II. Von Scheer bis Munderkingen

Die zweite Hauptgruppe der Donaualbseite, das Donautal von Scheer bis Munderkingen mit seinen Seitentälern, bietet oberflächlich betrachtet das Bild eines Flachlands. Müde von dem eben vollendeten Kampf mit dem Juragestein wälzt sich der Fluss durch die kahle, sumpfige Talebene, die zu raschem Durchfliegen mit der Eisenbahn lockt. Aber noch einmal stellt sich der Donau ein Hindernis entgegen. Es ist der Bussen mit seinem breiten Unterbau, der einzige Albvorberg auf der Donauseite zwischen Heuberg und Härtsfeld und das bedeutendste Schmuckstück der oberschwäbischen Flachlandschaft. Statt ihn in weitem Bogen zu umgehen, zeigt die Donau noch genug jugendliche Tatkraft, den kürzeren Weg zu wählen und den niedrigen Verbindungsrücken zwischen dem Albwall und dem Vorberg zu durchbrechen. Es war eine leichte Arbeit, und doch genügte sie, eine Schmuckkette zierlicher Felslandschaften aus dem flachen Boden herauszumodeln. So wäre dieser zweite Juradurchbruch der Donau zwischen Zwiefaltendorf und Munderkingen mit den Hauptpunkten Rechtenstein, Ober- und Untermarchtal schon für sich allein einer näheren Betrachtung würdig. Aber die landschaftliche Bedeutung wird noch mächtig erhöht durch zwei wichtige Seitentäler, die gerade hier einmünden und so mit der Felsenstrecke des Haupttals ein zusammenhängendes Wandergebiet von zwei starken Tagreisen bilden. Es ist das Tal der Zwiefalter Aach und das Große Lautertal. Beide Täler sind dem Wanderer aufs wärmste zu empfehlen; nur sollte er nicht frisch von den großartigeren Partien des oberen Donautals herkommen. Doch sind einzelne Strecken, z.B. im Lautertal von Anhausen bis Wartstein und wieder von Unterwilzingen bis zum Wolfstal derartige Kabinettstücke landschaftlicher Anmut, dass sie auch den Verwöhntesten entzücken werden. Am empfehlenswertesten ist's, von einer Station der Bahn Reutlingen - Schelklingen aus (Marbach oder Mehrstetten) das Lautertal abwärts zu wandern bis zum Wartstein, von da über Hayingen ins Aachtal überzugehen und am anderen Tag als besonderen Ausflug von Obermarchtal aus den Unterlauf der Lauter abzumachen. - Zur Ersteigung von Höhen besteht in dieser Gegend wenig Bedürfnis. Die Felsen reichen durchweg bis auf den Talboden herab und stellen sich meist von unten gesehen am schönsten dar. Nur wann der Geist durch die Fülle gleichartigen Stoffs stumpf zu werden beginnt - eine Gefahr, die auch bei den schönsten Talwanderungen droht -, empfiehlt sich alle mal ein kurzer Erholungsanstieg zu geeigneten Übersichtspunkten, die der Wanderer nach der oben gegebenen Anweisung sich selbst aussuchen mag. Nur soviel sei bemerkt, dass von den Burgen des Lautertals die Ruine Hohengundelfingen (727 m), die Maisenburg (650 m) und die Volksburg Althayingen mit der Gerberhöhle (680 m) auch als Aussichtspunkte lohnend sind, während der neuerdings empfohlene und mit einer Albvereinshütte versehene Schachen bei Buttenhausen (796 m) zwar eine weite Rundschau, aber keine befriedigenden Talansichten hat, desgleichen der Bachstock oder Bosch (686 m) zwischen Maisenburg und Hayingen. - Von den Punkten der Gegend, die einen Überblick über die Hochebene gewähren, sind überhaupt nur diejenigen von landschaftlicher Bedeutung, die an der Grenze des Albgebiets, also am Rand des Donautals liegen. Und unter ihnen ist es wieder einer, der alle andern in den Schatten stellt. Es ist der Marchtaler Hochberg (oder Bismarckstein, 662 m), eine ansehnliche Kuppe an der Mündung des Lautertals auf Markung Talheim gerade gegenüber von Obermarchtal. Der Berg besitzt alle Vorzüge der Aussichtspunkte dieser Albseite - den weiten Gesichtskreis und die umfassende Alpenfernsicht -, ohne an deren Schwächen - der Einförmigkeit des Vordergrunds - zu leiden. Der Felsendurchbruch der Donau liegt hier so vollständig und in so glücklicher Gruppierung vor dem Bild aufgeschlossen, dass sich ein Bild von einer Mannigfaltigkeit ergibt, wie man es auf dieser Seite der Alb nicht erwartet: im Mittelpunkt das Kloster Obermarchtal mit seinem Turmpaar, dahinter in majestätischer Einsamkeit der hochgelagerte Bussen, links donauabwärts die Windungen des Flusses und seine schmucken Uferorte Neuburg, Untermarchtal, Munderkingen, Rottenacker, ähnlich rechts donauaufwärts Rechtenstein und die Talorte bis über Riedlingen hinaus, endlich rückwärts als reizender Gegensatz die Waldgründe des Lautertals mit den Burgtürmen von Reichenstein und Wartstein. So darf dieser Hochberg, dem ein Aussichtsturm wohl zu gönnen wäre - denn die Einblicke in das Lautertal sind durch Wald beeinträchtigt - wohl als der schönste Höhenstandort der Donaualbseite zwischen Heuberg und Härtsfeld bezeichnet werden, der eigentlich den Besuch aller anderen Übersichtspunkte in diesem Gebiet entbehrlich macht.

Auch des Bussen? wird der Leser fragen. Ganz gewiss! Einmal liegt der Bussen schon soweit jenseits der Donau, dass er nicht ohne stundenlangen Marsch durch die oberschwäbische Hochebene erreichbar ist; und so fällt jedenfalls die Überraschung weg, die für den Lautertalwanderer, der aus den Schatten der Wolfstalschlucht und der Reichensteiner Laufenmühle zum Marchtaler Hochberg emporgedrungen ist, der plötzliche Gegensatz des Landschaftscharakters erzeugt. Aber auch abgesehen davon kann sich meines Erachtens der berühmte Bussen (767 m) mit jenem viel niedrigeren Punkt an Schönheit der Aussicht nicht messen. Diese ist freilich bei weitem die umfassendste auf der Donauseite der Alb, aber auch eine der langweiligsten. Die Alb selbst macht von dort oben gesehen einen geradezu abschreckenden Eindruck mit ihren einförmigen Flächen, die nirgend einen Einblick in die köstlichen Felsenengen der Wasseradern gestatten; und die 500 Ortschaften Oberschwabens, über die das Auge schweift, werden höchstens den Oberländer selbst unterhalten, der unter ihnen gute Bekannte entdeckt. Aber die Alpen? Freilich, die sind schön, wenn sie sichtbar sind; aber dann sieht man sie fast in gleicher Weise auch vom Marchtaler Hochberg oder irgend welcher niedrigeren Anhöhe am Donaurand. Überhaupt sei hier nochmals daran erinnert, dass die Alpenfernsicht, so wertvoll sie für den Einheimischen ist, als Anziehungsmittel für den Fremdenverkehr wenig wirkt. Auf der ganzen Linie von den Cevenennen bis zu den Karpaten hat das Alpenvorland Mitteleuropas ungezählte Tausende von Alpenfernsichtspunkten. Und wenn einem Fremden daran liegt, gerade von diesem Teil des Alpenvorlands aus die Gebirgsfront zu betrachten, so wird er besser einen Punkt im südlichen Oberschwaben mit Bodenseevordergrund auswählen, wie z.B. den Heiligenberg (723 m) bei Pfullendorf, den Gehrenberg (750 m) bei Markdorf, die Waldburg (797 m) und die Bodnegger Höhe (642 m) bei Ravensburg oder die Brünnensweiler Höhe (588 m) und den Argenhardter Kapf (550 m) bei Tettnang, lauter Punkte, wo die Alpen schon nahe genug sind, um fast täglich sichtbar zu sein und doch noch ferne genug, um sich in übersichtlich ausgebreiteter Kette darzustellen.

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Quelle: Blätter des Schwäbischen Albvereins, XVII. Jahrgang 1906, Nr.12
(14.Fortsetzung)

III. Von Munderkingen bis Elchingen

Die dritte Reisegruppe der Donau-Alb rechnen wir von Munderkingen an, wo die Donau zum zweitenmal aus der Alb ausbricht, bis Elchingen (unterhalb Ulm), wo sie sich ganz vom Albrand entfernt. Das weite, flache Haupttal hat hier nur schwachen Anteil an den landschaftlichen Reizen. Dagegen sorgen auch hier zwei felsige Seitentäler, das Schmiech- und das Blautal, für ausgiebigen Stoff an beachtenswerten Naturschönheiten, die sich wenigstens an einem Punkt - Blaubeuren - zur Sehenswürdigkeit ersten Rangs erheben. Nimmt man noch hinzu, dass die bedeutendste Kunstsehenswürdigkeit der Alb, das Ulmer Münster, diesem Gebiet angehört, so ist ihm der Rang unter den lohnendsten Reisegebieten der Alb hinreichend gesichert. Dabei hat die Gegend den Vorzug leichter Zugänglichkeit durch ein Eisenbahnnetz, das beide Seitentäler sowohl unter einander als mit dem Haupttal verbindet und die Zufahrt von sieben verschiedenen Richtungen ermöglicht, worunter sich auch zwei Übergänge von der Neckarseite her (Filstal und Echaztal) befinden, so dass es an passenden Gelegenheiten nicht fehlt, diesen Teil der Alb in den Reiseplan einzuschieben. Es ist eine Gegend zum Ausruhen, wie sie zur Einschaltung in die anstrengenden Streckenwanderungen der Neckarseite erwünscht ist. Alle Hauptpunkte liegen dicht an der Eisenbahn und die Aussichtspunkte erfordern nur kurze Anstiege. An solchen ist kein Mangel. Mehr als anderswo gibt es hier Höhepunkte, die hübsche Talblicke mit Fernsichten über Oberschwaben und zu den Alpen verbinden. - Um fünf Hauptpunkte gruppieren sich die Sehenswürdigkeiten: Hütten, Schelklingen, Blaubeuren, Herrlingen, Ulm.

Hütten mit der Bärentalschlucht und dem Talsteußlinger Scheffelwirtshaus ist der Hauptpunkt des oberen Schmiechtals, dessen Anmut einen Besuch wohl verdient, seit es durch die Bahn so leicht zugänglich geworden ist. Ein bedeutender Aussichtspunkt der Umgebung ist die Höhe von Ennahofen auf den "Lutherischen Bergen", mit wirkungsvollem Doppelblick: nordwärts hinab in den Schmiechtalgrund mit dem malerischen Schloß Talsteußlingen, südwärts hinaus in die oberschwäbische Hochebene mit dem hochgelegenen Pfarrdorf Weilersteußlingen im Vordergrund.

Die Aussicht über Oberschwaben ist noch freier von dem vordersten Punkt der "Lutherischen Berge", dem Stoffelsberg bei Ehingen (717 m), dem der niedrigere Wolfert (549 m) trotz seines Turms an Umfang und Schönheit der Aussicht nachsteht.
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Beim zweiten Hauptpunkt, Schelklingen, genügt schon ein viertelstündiger Talspaziergang zu dem Kloster Urspring, um einen Begriff von der eigenartigen Lage dieses Quellkessels zu gewinnen, der an Bauart demjenigen von Blaubeuren gleicht, aber mit seinem ruhigen Ebenmaß doch wieder andere Eindrücke hervorruft, als jenes phantastisch geformte Felsentheater. Doch wird der Genuss entschieden erhöht durch einen Anstieg zu dem bewaldeten Bergrand im Rücken des Klosters, wo nur besser für Ausblicke gesorgt werde sollte. Entzückend wirkt von dort oben, wo auf freier Ackerfläche das Albdorf Hausen ob Urspring (719 m) liegt, das Bild des fein gemodelten Talkessels, den der vereinzelte Litzelberg (oder Herz-Jesu-Berg) malerisch ausfüllt und dem ein heller Streifen der oberschwäbischen Ebene mit dem Alpenhintergrund einen wirksamen Rahmen verleiht. Wer einmal da oben ist, möge auch den halbstündigen Abstecher zur Ruine Muschenwang (729 m) nicht versäumen. Statt des Schelklinger Aachtals erblickt man hier die ernste Waldlandschaft des Schmiechtals zu Füßen, zu der wiederum die unbegrenzten Flächen Oberschwabens eine treffliche Hintergrundfüllung abgeben.

Der dritte Hauptpunkt, Blaubeuren mit dem wunderbaren Blautopf, den herrlichen Kunstschätzen der Klosterkirche und dem Umkreis gespensterhaft starrender Felsenriffe, ist eine Stätte von so ungewöhnlicher Eigenart und Sehenswürdigkeit, dass sie auch der Verwöhnteste, der die Alb nur mit engster Auswahl bereist, nicht übergehen darf. Hier zeigt sich wieder so recht, wie wenig der Schwabe sich der Bedeutung seiner heimatlichen Schätze - seien es Kunst- oder Naturdenkmäler - bewusst ist. In anderen Ländern hätte ein so bevorzugterPlatz längst den großen Fremdenverkehr an sich gezogen. Hier lag Jahrhunderte lang der Blautopf als Kehrichtwinkel und die Klosterkirche als Rumpelkammer darnieder, und auch heute hat es Blaubeuren noch zu keinem Hotel modernen Schlags gebracht und niemand ist da, der den unermüdlichen Zementgräbern verbietet, die Bergwände grausam zu verwüsten. Aber auch die schlimmsten Sünden einer nüchternen Zeit haben es nicht vermocht, diese weihevolle Stätte ihrer tief ergreifenden Wirkung auf das Gemüt und die Einbildungskraft zu berauben. Und wenn das leuchtende Farbenspiel des Blauquells mit Zaubergewalt den träumenden Blick gefangen hält und ihm das Spiegelbild des Klosters und des Rusenschlosses zeigt, so taucht vor dem Geiste das Bild der Vorzeit auf mit dem Waffenglanz der Ritterburgen Gerhausen, Ruck und Blauenstein und dem stillen Treiben der kunstsinnigen Benediktinermönche, und er erschaut im tiefsten Grunde des Quellsees Mörikes Blaunixe als das Sinnbild der geheimnisvoll schaffenden, nie zu ergründenden Seele der Natur...

Wahrhaftig, hier ist's nicht leicht, aus dem Bann dieses Talwinkels sich aufzuraffen zu den Bergen, denen ja diese Schrift gewidmet sein soll! Und doch würde ohne einen Gang zu den Felsenhöhen ein wesentliches Stück von Blaubeurens Reizen fehlen. Drei leicht zu ersteigende Randpunkte des Blaubeurer Kessels verdienen es, unter den vorzüglichsten Aussichstpunkten der Alb genannt zu werden: Rusenschloss, Gerhauser Hörnle und Beininger Höhe, woneben als vierter Punkt noch die Günzelburg weniger um der Aussicht willen, als wegen des reizenden Aufstiegs durchs "Felsenlabyrinth" Erwähnung verdient. - Die größte Anziehungskraft unter den Höhen Blaubeurens übt mit Recht das Rusenschloss aus (643 m), jene von Märchenzaber umsponnene Ruine mit ihren unzerstörbaren, wie durch Zyklopenkraft in die zerklüfteten Felszacken hineingezwungenen Mauern. Der Fremde wird keinen andern Weg dorthin wählen als die trefflich angelegte Kunststeige zur Sonderbucher Ziegelhütte. Hält er sich von da an immer dicht am Kesselrand, so wird er auch den günstigsten Aussichtsstandort des Burgrückens nicht verfehlen, den "Knoblauchfelsen", wo das nahe Rusenschloss ungemein malerisch auf seiner bewaldeten Bergnase vor Augen liegt, während links der Blick durch eine Waldschlucht zum Dörflein Gerhausen hinabdringt und rechts der ganze Balubeurer Talkessel freiliegt. - Einen noch vollkommeneren Gesamtüberblick des Tals, der nur durch die Zementbrüche von Gerhausen gestört wird, gewährt das gegenüberliegende Gerhauser Hörnle (669 m), vom Bahnhof Blaubeuren in einer Viertelstunde zu erreichen. Der Schlangenlauf des Flüsschens ist hier auf längere Strecke als sonstwo dem Blick erreichbar, talaufwärts bis zu dem Kameelfelsen von Altental. Die Alboberfläche mit dem Dorf Sonderbuch und dem Kirchturm von Seißen fügt sich freundlich in das Gesamtbild. - Der dritte Hauptpunkt endlich, die Beiniger Höhe (686 m), eine Viertelstunde südlich vom Hörnle, zeichnet sich durch den gleichzeitigen Tiefblick in den Blaubeurer Talkessel und Fernblick gen Oberschwaben und Hochgebirge aus - wiederum ein Landschaftsgegensatz von ungewöhnlichem Reiz. Die Höhe bildet den höchsten und schönsten Aussichtspunkt des Hochsträss, eines durchs Blautal von der Hauptmasse abgetrennten Albstücks.

Die fernsichtreiche Hochsträss-Kammwanderung von der Beiniger Höhe über Allewind (620 m) nach Ulm, den die Albvereinshauptlinie wählt, bietet für den Fremden zu wenig Abwechslung und würde ihn um den Genuss bringen, den vierten Hauptpunkt dieser Gruppe kennen zu lernen, Herrlingen, den beliebten Ulmer Sommerfrischplatz an der Mündung des Kleinen Lautertals, in dessen hinterstem Quellwinkel das lauschig eingebettete Dörflein Lautern zu einem Abstecher lockt. Der Weg dorthin wird meist auf der Talstraße oder auf der bewaldeten Westseite über das Schloss Oberherrlingen gewählt. Die günstigeren Aussichtspunkte aber, die auch von Fremden aufgesucht zu werden verdienen und den Ausflug erst richtig lohnend machen, liegen auf der kahleren Ostseite. Es sind, von oben nach unten gerechnet, die Bermaringer Felsen (634 m) hinter Lautern mit entzückendem Taldurchblick, sodann der Weidacher Kiesentalblick (605 m), ein Felsvorsprung auf der Ostseite des Weilers Weidach mit wildromantischer Ansicht der felsigsten Stelle des Kiesentals, eines Paralleltälchens des Kleinen Lautertals, und der Weidacher Lautertalblick (604 m), ein noch ganz verwahrloster Felsvorsprung dreiviertel Stunden südlich von Weidach, schräg gegenüber von Oberherrlingen, mit vortrefflicher Gesamtansicht des Lautertals vom Schloss Klingenstein bis zum Bermaringer Kirchturm. - Das Eigenartigste aber bildet der vorderste Höhenpunkt dieser Lautertalseite, der vom Bahnhof Herrlingen in zehn Minuten zu ersteigen ist und auch von Eiligen, denen der Abstecher ins Kleine Lautertal zu weit ist, nicht übergangen werden sollte. Es ist der Beibruckberg (oder "Hohlenstein" nach einer verschwundenen Burg dieses Namens; 579 m), jener kahle, von Steinbrüchen angenagte Hügel, der sich inmitten des sonst so anmutigen Talbilds als wüster Störenfried breit macht. Aber eben deswegen wird der Kenner gerade ihn als Aussichtsstandort wählen, in der Vermutung, dass dort nur das Schöne sichtbar und das Hässliche verdeckt ist. Und der missachtete Geselle zeigt sich für den Besuch ungemein dankbar, ja er bereitet dem Besucher verschiedene allerliebste Überraschungen. Vermöge seiner günstigen Lage im Treffpunkt der Talverzweigungen gewährt er ausser dem Anblick des gegenüberliegenden Felsenschlosses Klingenstein einen ähnlichen Viertälerblick, wie der früher gerühmte Seeburger Schlösslesberg: nordwestwärts ins Lautertal hinauf zum Bergschloss Oberherrlingen, nordostwärts ins Kiesental hinauf bis zur Kirche von Bollingen, südwestwärts ins Blautal hinauf bis Arnegg, und endlich südostwärts durchs Blautal hinab auf ein Stückchen oberschwäbische Hochebene, in dessen Mitte als Glanzpunkt des Rundbilds die majestätische Gestalt des Ulmer Münsterturms erscheint!

Dass das Ulmer Münster einen wohlbegründeten Anspruch darauf hat, in einer Schilderung der Alblandschaft und ihrer Aussichtspunkte eine Stelle zu finden, ist schon von Nägele im 6.Jahrgang der Albvereinsblätter S.205 ausgeführt worden. Mit seiner die ganze Umgebung in weitem Umkreis überragenden Höhe (639 m) ist es als Landschaftsschmuck wie als Aussichtsstandort gleich bemerkenswert. Freilich die Vorzüge der Rundschau des Münsterturms liegen weniger auf dem Gebiet landschaftlicher Schönheit. Die interessanten Einblicke in die Einzelheiten des Bauwerks und in die Winkel und Höfe der alten Reichsstadt fesseln mehr als die flache Umgegend. Und kaum würde sich das einförmige Welland der Alb, das den nordwestlichen Halbkreis einnimmt, merklich von der oberschwäbischen Ebene abheben, wenn nicht der Donaulauf eine deutliche Grenzlinie zöge. - Erst aus der Entfernung betrachtet enthüllt das Münster seine landschaftliche Bedeutung und zeigt sich als ein so wertvolles Zierstück der Gegend, dass Ulm ihm den Besitz einer Gruppe eigenartiger Aussichtspunkte zu danken hat, die der vollen Beachtung des Fremden würdig sind.

Ein neugeschaffener Münsteraussichtspunkt ersten Rangs, von keinem Fremden zu versäumen, ist die 1905 erbaute, großartige Wallstraßen- oder Kienlesberg-Brücke am ehemaligen "Napoleonstein" im Westen der Stadt, wo das Münster mit vortretendem Hauptturm in günstiger Schrägstellung als ein versteinertes Bild des Mittelalters einen ergreifenden Gegensatz zu dem neuzeitlichen Getriebe der vorn ausgebreiteten Eisenbahnanlagen bildet.

Einen besonders hübschen Punkt dieser Art haben wir ja schon in dem eben erwähnten Beibruckberg kennen gelernt, der auch den Vorzug hat, dass das Auge an den umgebenden Talwänden einen Maßstab für die Riesengröße des siebeneinhalb km entfernten Bauwerks vorfindet. Aber vortreffliche Landschaftswirkungen erzielen auch die frei gelegenen Uferhöhen der Donau. Denn sie bieten ausser der edlen Augenweide des Dombilds die wohltuende, der Alb sonst fremde Erscheinung eines stattlichen Stroms. Sowohl donauaufwärts als -abwärts führt eine "Albrandwanderung" zu nahen, lohnenden Punkten dieser Art, aufwärts über den Galgenberg zum Unteren Kuhberg (526 m), zu dessen Füßen sich das Alpenkind Iller in lebhaftem Schwung mit der trägeren, unscheinbareren Donau vereinigt, abwärts über den Alber zum Safranberg (561 m) mit besonders günstiger Münsteransicht. - Aber auch entferntere Punkte zeigen noch die beherrschende Landschaftswirkung des gewaltigen Bauwesens; so flussabwärts das Schloss Erbach (529 m) mit gleichzeitigem Blick auf die beiden Hauptschmuckstücke des Donautals, Bussen und Ulmer Münster, und donauabwärts der Kugelberg bei Talfingen (552 m), eine noch wenig beachtete Randhöhe zwischen den beiden beliebten Ausflugszielen Obertalfingen und Oberelchingen, mit ausnehmend günstigem Überblick des Donautals von Elchingen bis Erbach.

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IV. Von Elchingen bis Donauwörth

Die Steinernen Jungfern im Eselsburger Tal
Die „Steinernen Jungfern" im Eselsburger Tal

Die vierte und letzte Gruppe des Reisegebiets dieser Albseite, die das Wassergebiet der Brenz und Egau umfasst und auf einer zusammenhängenden Albreise am besten mittelst Eisenbahnabstechers von Aalen aus abgemacht wird, ist landschaftlich die bescheidenste und macht am wenigsten den Eindruck eines Gebirgslands. Aber auch ihr fehlt es nicht an einer Natursehenswürdigkeit ersten Rangs, die allerdings unter der Erde liegt: es ist die Charlottenhöhle bei Hürben, die längste und an Tropfsteinschmuck reichste Höhle der Alb. Und auch hier stellt sich eine Kunstsehenswürdigkeit ersten Rangs zur Seite: die Neresheimer Klosterkirche, der großartigste Kirchenbau der Rokokozeit. Im übrigen bestehen die Sehenswürdigkeiten hier ausschließlich in einzelnen Felsentalstrecken, die auf der Durchreise abgemacht werden können: das obere Brenztal mit Königsbronn und Heidenheim auf der Zufahrt von der Neckarseite her, die merkwürdige Brenztalschleife, die sich das Eselsburger Tal nennt, und das untere Lonetal auf dem Weg zu und von der Charlottenhöhle, das weltfremde, waldfrische Wental mit seinen seltsamen Dolomittürmen als Wanderlinie vom Brenztal zum Rosenstein, und die Felsenstrecke des Egautals zwischen Neresheim und Dischingen anlässlich des Besuchs der Neresheimer Kirche. - Aussichtspunkte spielen in diesem Teil der Alb die untergeordnetste Rolle. Zum Zweck der Übersicht über bevorzugte Talstrecken wrd zwar auch hier der Reisende nicht versäumen, da und dort eine der niedrigen, bequem zu ersteigenden Randhöhen aufzusuchen, so bei Königsbronn den gewaltigen Herwartstein (577 m) oder auch bloß den bescheidenen Herzog-Karl-Felsen am Brenztopf, bei Heidenheim eine dem Schloss gegenüberliegende Anhöhe, wie den Schmittenberg (570 m) oder auch nur den niedrigen Totenberg, im Eselsburger Tal die Ruine Falkenstein (523 m) oder den waldigen, die Talschleife ausfüllenden Buigen (529 m), im Lone-Hürbe-Tal etwa den auf dem Fußweg von Hermaringen zur Charlottenhöhle zu berührenden Stehberg bei dem Dorf Burgberg (502 m) mit gleichzeitigem Blick auf die malerischen Schlösser Burgberg und Kaltenburg, endlich im Egautal den Spiegelberg bei Iggenhausen (580 m), den hübschesten Landschaftspunkt im Innern des Härtsfelds mit Dreitälerblick auf des felsige obere Egautal, das flache untere Egautal und das burggekrönte Katzensteiner Seitentälchen. Aber eigentliche Fernsichten von Bedeutung fehlen. Überblicke über die Albhochfläche, wie z.B. von Oggenhausen bei Heidenheim (603 m), vom Schießbergturm bei Giengen (510 m) und vom Neresheimer Schlosskirchturm (602 m) wirken durchweg recht langweilig. Nur auf den südlichsten, dem Donautal zunächst gelegenen Randhöhen vermag mitunter auch hier nach der Wanderung durch ein Felsental der Landschaftsgegensatz überraschend und anziehend wirken, z.B. wenn man von der Charlottenhöhle über Lontal und Stetten nach Niederstotzingen wandert und am Waldrand hinter dem freundlichen Stettener Bierkeller (512 m) plötzlich von dem weiten Gesichtskreis der Donauebene umfangen wird. Aber auch hier fehlt uns etwas: der Fluss. Während auf der vorigen Strecke zwischen Munderkingen und Elchingen die Donau stets dicht dem Albsaum folgte und eine Reihe freundlicher Flusslandschaften schuf, zieht sie sich von Elchingen an bis zur Wörnitzmündung stundenweit vom Albrand zurück. Erst an der östlichsten Ecke der Alb, am schlachtberühmten Schellenberg bei Donauwörth (495 m) tritt sie in schön geschweiftem Bogen und achtbar gewordener Wasserfülle wieder heran und zaubert sofort wieder schmucke Strombilder aus dem flachen Gelände hervor. Von hier an noch weiter stromab zu fahren, wäre um so verlockender, als zwei Tagesreisen weiter unten am östlichsten Ende des Jurazugs - zwischen Weltenburg und Kelheim - die Donau sich den Scherz erlaubt, noch ein drittes und letztes Mal ins Albgestein einzubrechen und sich auch hierbei wieder als Landschaftskünstlerin ersten Rangs erweist. Aber gesättigt von der genossenen Fülle des Schönen machen wir gerne an der Wörnitzmündung Halt und kehren, alles weitere der nachbarlichen Frankenalb neidlos überlassend, zum heimischen Neckarland zurück.

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