Die schönsten Aussichtspunkte der Schwäbischen Alb

Eine vergleichende Übersicht von Otto Häcker 

Schlusswort

Quelle: Blätter des Schwäbischen Albvereins, XIX. Jahrgang 1907, Nr.4
(15.Fortsetzung)

So sind wir denn endlich am Schluss unseres langen Rundgangs angelangt, von dem mancher Leser vielleicht recht unbefriedigt ist. Die Überschrift hat in ihm wohl die Erwartung geweckt, der Verfasser werde die paar Dutzend Albberge, deren Namen er kennt, nach ihrem Schönheitsgrad ordnen und abstufen, bis schließlich nur noch ein Gipfel übrig bleibe, mit dessen Besuch er dann die ganze Alb auf einmal abmachen könne. Statt dessen hat diese lange Abhandlung nur Verwirrung in seinem Kopf angestiftet durch eine Unmenge neuer Namen, die er bei seinem Reiseplan mit in Erwägung ziehen sollte.

Aber diese Zeilen haben schon dann ihren Zweck nicht verfehlt, wenn sie dem Leser einen Begriff davon gegeben haben, dass man die Alb nicht so "im Vorbeigehen abmachen" kann, dass sie vielmehr eines der reichhaltigsten Gebirge Deutschlands ist und dass von den verschiedenen charakteristischen Landschaftsgruppen, aus denen sie sich zusammensetzt, jede wieder ihre Hauptpunkte hat, die sich unter einander nicht weiter vergleichen lassen. Und dass wir gerade beim Aufsuchen solcher Hauptpunkte so oft auf ganz unberühmte Namen gestoßen, ja mitunter an ganz unbeachtet gebliebene oder gar noch völlig namenlose Plätzchen geraten sind, ergibt für uns noch eine besondere Lehre. Es zeigt sich daran, wie wenig eigentlich noch unser Heimatland nach dem Gesichtspunkt landschaftlicher Schönheit ausgeschöpft ist und wie wenig überhaupt heutzutage noch die Kunst des landschaftlichen Sehens gepflegt wird trotz der guten Schulung des Auges durch die Photographie.

Ja, so einfach im Grund genommen die paar Grundregeln der landschaftlichen Schönheitslehre sind, deren Auffindung und Erprobung der tiefere Zweck dieser Studie war, und so selbstverständlich sie erscheinen, sobald sie einmal erkannt sind, so sind sie doch noch auffallend wenig in unser bewusstes Denken eingedrungen, wie z.B. der Satz, der sich wie ein roter Faden durch diese Blätter zog, dass die schönsten Schaustücke einer Gegend nicht gleichbedeutend sind mit den schönsten Aussichtsstandorten. Der moderne Mensch ist zwar geübt, landschaftlich zu fühlen, aber nicht landschaftlich zu denken, d.h. sich bei der Betrachtung einer Landschaft zu fragen: warum entzückt mich dies und enttäuscht mich jenes? was gefällt oder missfällt mir daran? an was für Umständen liegt es, dass mir das eine Mal diese Landschaft mehr oder weniger gefiel als das andere Mal? usw.

Der Leser wird einwenden, durch solche Reflexionen werde der Genuss nicht gehoben. Zugegeben! im Augenblick des Schauens soll man nur fühlen, nicht denken. Aber wenn man nachher, anstatt nur ans nächste Wirtshaus zu denken, sich seine Eindrücke und Empfindungen zu klarerem Bewusstsein zu bringen sucht, so ist dies der Weg zu einer Kunst, die von großem praktischem Wert ist, nicht bloß für Albwanderungen, sonders fürs Reisen und Naturbeschauen überhaupt. Denn wer nur landschaftlich fühlen kann, wird nur der Genüsse teilhaftig, die ihm der Zufall beschert, und muss sich beim Aufsuchen der Naturschönheiten der Führung anderer anvertrauen, die vielleicht selbst schlechte Führer sind. Wer aber landschaftlich denken kann, ist sein eigener Führer. Er trägt stets bei sich ein praktisches Reisehandbüchlein, das nichts kostet, nichts wiegt und nie verloren geht, und mit dessen Hilfe er sich in der fremdesten Gegend besser zurechtfindet, als mancher Eingesessene, der nicht gelernt hat, seine Heimat mit landschaftlichem Blick zu betrachten.

Und diese Kunst lernt man nur durch fleißiges Wandern, nicht in großen Rudeln auf der Heerstraße der "Touristen", sondern am besten auf einsamen Streifzügen und selbst gesuchten Pfaden. Geht's dabei auch nicht immer ohne kleine Irrfahrten und Enttäuschungen ab, so werden doch solche Mühsale vielfältig aufgewogen durch den Genuss, der den Wanderer erwartet, wenn er als Frucht eigener Arbeit einen schönen Punkt gefunden hat. Also Glück auf den Weg!

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