Das dritte Stück des Nordwestabfalls der Schwäbischen Alb, der Westrand des Albuchs von Gmünd bis Geislingen (oder genauer vom Rosenstein bei Heubach bis zum Hohenstein bei Gingen an der Fils) mit seinem Kegelvorgebirge wird gemeinhin noch zur Ostalb gerechnet. Seinem landschaftlichen Charakter nach aber dürfen wir es schon der Haupt- und Mittelstrecke des Neckartraufs beizählen, die in ununterbrochener Kette landschaftlicher Glanzpunkte vom Rosenstein bis zum Lichtenstein, von der Rems bis zur Echaz führt. Der erste Punkt dieser Schmuckkette von Naturschönheiten bildet den denkbar würdigsten Anfang. Ja Rosenstein! Bei dir stimmt der strengste Kritiker mit Lust in das Lob aller ein! Wer von dir unbefriedigt herabsteigt, muss ein sonderbarer Kauz sein! Die hinreißende Ausschau nach Westen von der Ruine oder besser von dem benachbarten Lärmfelsen (699 m) würde allein schon genügen, dem Rosenstein den Rang unter den schönsten deutschen Bergen zu sichern. Aber auch der entgegengesetzte Ausblick von der östlichen Felsenecke ist großartig schön, und selbst die Flachlandschau vom Nordrand, die anderswo vielleicht etwas Eintöniges hätte, wirkt hier fesselnd als Ergänzung der anderen Bilder und als Gegensatz zu dem erhabenen Felsenstandort. Nimmt man dazu die phantastischen Felsgebilde an den Bergrändern, den edlen Pflanzenwuchs, die interessanten Altertümer, die bequemen, schattigen Aufstiege (namentlich von Lautern durchs Lappertal oder über Lauterburg) und den köstlichen Randspaziergang an der Kante der Bergoberfläche, so haben wir auf kleinem Raum eine so harmonische Zusammenstellung aller Reize der Schwäbischen Alb, dass wir einem Fremden, der seinen Besuch auf einen einzigen Berg der Alb beschränken wollte, kein passenderes Ziel empfehlen könnten.
Heubach mit Rosenstein
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In der näheren Umgebung findet sich wenig, was den Wanderer abhalten könnte, dem Rosenstein selbst seine ganze Kraft und Zeit zu widmen. Der gegenüberliegende Scheuelberg (696 m), ein prächtiges Schaustück der Rosensteinaussicht, lohnt eine Besteigung weniger, wenn er auch als Übergang zum Bernhardus und Kalten Feld wohl empfohlen werden kann. Nur auf einem Punkt, der sich in allernächster Nähe des Rosensteins befindet und keine besondere Besteigung, sondern nur eine kleine Erweiterung des Bergrundganges beansprucht, möchte ich den Wanderer aufmerksam machen. Es ist die Heide Lengenfeld (765 m), wo sich der Heubacher Kinderspielplatz befindet, eine der köstlichsten Heiden der ganzen Alb. Auf ihr findet sich wenige Schritte westlich vom Weg, 1/4 Stunde südlich von der Hauptwegkreuzung des Rosensteins, eine Rasenkuppe, die auf der Karte den bescheidenen Namen Platz führt (719 m) und noch nirgends in der Literatur erwähnt ist, die ich aber nichtsdestoweniger für einen der allerschönsten Aussichtspunkte der Alb erklärt wissen möchte, dem Lärmfelsen ebenbürtig und ihn ergänzend. Der Punkt, der nur besser vom Gebüsch gesäubert werden sollte, bietet die einzige Gelegenheit zu einem Überblick über die Bergoberfläche des Rosensteins selbst von der ruinengekrönten Westspitze bis zu dem mächtigen Ostfelsen. Gen Westen öffnet sich ein ähnliches und doch wieder anders gruppiertes Bild wie vom Lärmfelsen; im Talausschnitt vom Rosenstein und Hochberg umrahmt liegt Heubach, im Hintergrund rechts ein schönes Stück Unterland, links eine Gruppe schöngeformter Vorberge (vorn Scheuelberg und Himmelreich, hinten Rechberg und Stuifen). Als reizendes Gegenstück dient der Ausblick nach Osten, wo durch die Spalte des Lappertals ein Stück des Kocher- und Jagstlandes mit dem Braunenberg und dem fernen Hesselberg frei wird.
Vermöge seiner Westaussicht gehört der Rosenstein bereits der Landschaft an, die wir "Hohenstaufengebiet" nennen. Und in der Tat, wenn auch der Rosenstein als Wanderziel wohl der lohnendste Berg der Ostalb ist, so ist er doch im großen Gesamtbild ein bescheidenes Stück; der eigentliche Herrscher des ganzen Gebietes ist der Hohenstaufen. Ist doch der ferne Unterländer von Jugend auf gewöhnt, von seinen heimatlichen Hügeln aus das Auge nach dem Kaiserberg schweifen zu lassen und die Aussicht darnach einzuschätzen, ob man den Hohenstaufen sieht oder nicht. Und es ist gewiss nicht bloß die geschichtliche Größe, was dem Berg seine Anziehungskraft verleiht, sondern wesentlich auch seine schöne Gestalt. Freilich wenn sie ganz vereinzelt wäre, so würde die weit ins Flachland vorgeschobene Berggestalt das Auge bald sättigen. Was der Landschaft einen so unerschöpflichen Reiz verleiht und immer neu zum Schauen lockt, das ist die Mehrzahl freistehender, hochragender Kegel, deren Verschiebung an Lage und Gestalt bei jeder Veränderung des Standpunkts neue Überraschungen bietet. So wird jeder der zahllosen Punkte, von denen diese "Kaiserberge" sichtbar sind, von selbst zum "Aussichtspunkt" und so ist das Hohenstaufenland das klassische Land der Aussichten.
Von dreierlei Grundcharakter sind diese Aussichten je nach der Art des Standorts. Die erste Art sind die ungezählten Hügelstandpunkte des Vorlandes, wo die Kaiserberge als scheinbar höchste Erhebungen der den Horizont umsäumenden Albkette erscheinen. Ihnen werden wir am Schluss dieses Aufsatzes noch eine kurze Übersicht widmen. Die zweite Art sind die Gipfel der Albvorberge selbst, wo der Beschauer gleichsam rings vom Dunstmeer der Tiefebene umflossen den Jurawall als Festlandsküste vor sich sieht. Die dritte Art sind die Ränder der Albhochebene, wo umgekehrt die Vorberge wie Inseln aus dem Gewoge des Flachlands aufsteigend erscheinen.
Von den Standpunkten der letzteren Art kennen wir schon den Rosenstein, der ja kein ausgebildeter Vorberg, sondern nur ein Felsenerker der Albhochebene ist, und haben dabei erkannt, wie wirkungsvoll gerade diese Art des Standorts ist. Es wäre aber ein Fehler, in der Meinung, mit dem Rosenstein das Schönste dieser Gattung gesehen zu haben, den Albrand sofort wieder zu verlassen und sich nur noch die Ersteigung von Vorbergen zum Ziel zu setzen. Wenn auch dem Rosenstein vermöge der Vereinigung aller Arten von Naturschönheiten der schon festgestellt Vorrang unbenommen bleibt, so erschöpft er doch rein als Aussichtspunkt betrachtet bei weitem nicht alle Reize des formenreichen Landschaftsgaus, an dessen Ostgrenze er liegt; er bietet eher nur eine geheimnisvolle Vorahnung dieses durch den vorgelagerten Scheuelberg noch halb verhüllten Bergparadieses. Wir müssen also noch nach einem Standpunkt suchen, der ein unverhülltes Gesamtbild aller Schmuckstücke des Hohenstaufengebiets zeigt. Eine ganze Schar solcher Standpunkte stellt sich am westlichen Albuchrand dem schaulustigen Wanderer zur Verfügung. Aber drei Punkte sind's, die durch Lage und Gruppierung besonders bevorzugt sind: das Kalte Feld, der Messelberg und die Kuchalb.
Das Kalte Feld, eine dem Albuch vorgelagerte geräumige Berginsel, verdient schon deshalb Beachtung, weil es mit seinen 781 m (99 m höher als der Hohenstaufen) die höchste Erhebung der Ostalb bildet. Aber während es sonst keineswegs die Regel ist, dass der höchste Punkt zugleich der schönste ist, hier trifft's zu: das Kalte Feld darf mit seiner Mehrzahl bedeutender Aussichten, die sich gleichmäßig auf seine drei Bestandteile - den Mittel- und Hauptgipfel, die nördliche Vorterrasse Hornberg und den südlichen Ausläufer Galgenberg - verteilen, wohl als der aussichtsreichste Berg der ganzen Ostalb, ja vielleicht der Alb überhaupt bezeichnet werden. Es ist merkwürdig, dass dieser Berg erst in allerneuester Zeit überhaupt bekannt zu werden beginnt. Das völlige Dunkel, das bisher über ihm schwebte, rührt wohl daher, dass der Berg trotz seiner beherrschenden Höhe ein unansehnliches, fast unangenehmes Aussehen hat und so weniger verlockend wirkt als die zahlreichen auffallenden Kegel der Gegend, die der Unkundige begreiflicherweise zugleich für die lohnendsten Aussichtspunkte hält.
Der Hauptgipfel des Kalten Feldes bildet sozusagen den Schlüssel der ganzen Gegend. Treten wir an den westlichsten Randpunkt vor, wo wir die Graneggkapelle (Reiterleskapelle) mit ihrer Prachtslinde dicht unter uns haben, so liegt das sonst so schwer verständliche Gewirr der Berge zwischen Rems und Fils mit der Klarheit einer Reliefkarte vor uns aufgeschlossen. Vom Granegg als Kopf streckt die Alb zwei Fühler ins Unterland hinein, einen längeren nach Westen, einen kürzeren nach Süden. Gleichsam als Knorpeln sitzt auf diesen Gliedern eine Reihe von Kegelbergen verschiedender Größe, auf dem kürzeren der kahle Hügel Zuckmantel und der ansehnliche Heldenberg als Endpunkt, auf dem längeren das kahle „Schönbergle" und die drei Kaiserberge mit dem Hohenstaufen als Schlusspunkt. Dazu streift das Auge südwestwärts über die Bergkette des mittleren Albtraufs, der sich bis zur Teck, zum Jusi und zum Floriansberg in reizvoller Profilstellung zeigt, nord- und westwärts übers Unterland, das sich scharf in das helle, fruchtbare Vorland der mittleren Alb und das dunkle Tannengebiet des Schwäbischen Waldes scheidet, endlich ostwärts über die weiten Flächen der Albhochebene bis zu den Alpen: alles in allem ein Bild, das den geologischen Aufbau des Schwabenlandes und der Alb insbesondere so anschaulich wie kaum ein anderer Punkt vor Augen führt. Und nicht nur interessant, sondern auch hinreißend schön sind diese Aussichten des Mittelgipfels, namentlich wenn man sich den Fels Tannhaldenstein mit seinem entzückenden Durchblick durchs üppige Waldstetter Tal oder mehr seitwärts einen Punkt als Standort wählt, wo das nicht minder anmutige Donzdorfer Tal mehr zur Geltung kommt und der Rechberg nicht mehr vom Stuifen verdeckt ist. - Aber rein vom Gesichtspunkt landschaftlicher Schönheit betrachtet ist der vollkommenste Punkt nicht auf dem Hauptgipfel, sondern auf der nördlichen Vorterrasse zu finden, dem Waldstetter Hornberg oder Luginsland (696 m). Die drei Kaiserberge zeigen sich hier dichtgedrängt von ihrer schmalsten, formschönsten Seite in so symmetrischer Zusammenfügung, wie sonst von keinem anderen Punkt außer dem unten zu erwähnenden Bernhardus, aber insofern entschieden günstiger, als der wuchtige Eindruck der Formen hier noch gehoben wird durch den Talvordergrund, aus dessen Tiefe wir Stuifen und Rechberg in ihrer ganzen Höhe von fast 400 m unmittelbar vor uns aufsteigen sehen. Auch sonst ist das Aussichtsgemälde voll Harmonie und Formenfülle, nirgends eine Lücke oder ein Zuviel: alles in allem ein Landschaftsbild, wie es nirgends in Deutschland prächtiger zu finden ist. - In ganz Deutschland? Ja sprechen wir es kühnlich aus! Unsere einheimischen Schriftsteller sind immer noch viel zu schüchtern, sobald es sich um Vergleiche mit auswärtigen Gegenden handelt. Es ist zu bedauern, dass in der amtlichen Beschreibung Württembergs die sonst anerkannt meisterhaft geschriebene Betrachtung des landschaftlichen Charakters, die auch in die württembergischen Schullehrbücher übergegangen ist, mit den Worten beginnt: „Württemberg besitzt keine Naturschönheiten ersten Rangs", und so schon dem Schulknaben ein gewisses Vorurteil gegen den Wert seiner heimischen Landschaft einpflanzt. Freilich das Hochgebirge und das Meer sind Dinge für sich; aber wo abgesehen davon das Beste genannt wird, was Deutschland an Naturschönheiten aufzuweisen hat, da dürfen wir - seit der Albverein die richtigen Punkte und Wege erschlossen hat - auch die Nennung unserer Schwäbischen Alb fordern. Darin wird uns jeder Fremde recht geben, sofern er nur die Alb mit Verständnis, ihrer Eigenart entsprechend, bereist, d.h. nicht ermüdende Talfahrten und langweilige Quermärsche macht, sondern die oft etwas beschwerlichen Fußpfade an den Felsenkanten nicht verschmäht. Auch die im vorigen Jahrhundert herrschende Vorliebe für den Rhein teilt das heutige Geschlecht nicht mehr in dem Maß, dass wir den Satz Gustav Schwabs: "Freilich vom Rhein darf der Wanderer nicht zu diesen Bergen kommen", noch unterschreiben würden. Wozu sollen wir immer dem Fehlen eines Stroms oder Sees nachhängen, wenn der Mangel durch die Eigenart und den Formenreichtum der Berge selbst ersetzt wird? Auch der Schwarzwald hat sich ohne Strom und größere Seen den Ruhm eines der ersten deutschen Mittelgebirge errungen. Und wenn wir für einen Hochsommeraufenthalt dem tannenkühlen Schwarzwald gern den Vortritt lassen, so dürfen wir ebenso kühnlich zur Zeit des Frühlingsblumenflors und der Herbstfarbenpracht für unser Buchenwaldgebirge den Vorrang behaupten.
Doch kehren wir nach dieser Abschweifung aufs Kalte Feld zurück, um noch dem Südgipfel einen Besuch zu machen, einer kreisrunden, mit vorgeschichtlichem Ringwall umgebenen Kuppe, die den Sondernamen Galgenberg oder Burghalde (717 m) führt. Auch der Rundgang auf dieser Bergplatte bietet Neues, Fesselndes: einmal bei dem Kreuz an der südwestlichen Bergecke ob Nenningen einen entzückenden Durchblick durchs Donzdorfer Tal von oben nach unten, namentlich aber von der südöstlichen Ecke einen Einblick in die romantische Felsenenge, in der das Städtchen Weißenstein eingeklemmt liegt, als überraschendes Gegenstück zu den lichten Weiten der seitherigen Aussichtsbilder.
Eigentlich gehören alle diese Aussichten zusammen: die ganze stark zweistündige Randwanderung von der Nord- zur Südspitze des Kalten Feldes bildet eine fast ununterbrochene Aussichtsstrecke, auf der sich die Landschaft fortwährend verschiebt. Tapfer wandern mit uns unsere Freunde, die Kaiserberge: der Hohenstaufen, zuerst in der Mitte, schlüpft hinter dem Stuifen herum und räumt diesem den Ehrenplatz ein, während später auch der Rechberg sich hinter dem Stuifen versteckt, um bald links wieder hervorzukommen und die ihm nach der Ordnung gebührende Mittelstellung einzunehmen. Und so wirken die landschaftlichen Eindrücke viel nachhaltiger, als wenn man die Gegend bloß von einem festen Einzelpunkt in starrer Ruhe vor sich sieht.
Aber trennen wir uns endlich vom Kalten Feld, dessen verkannte Größe das längere Verweilen rechtfertigen mag. Vom Mittelgipfel lockt westwärts ein Pfad in kurzer Zeit zum Granegg- oder Christentalpass hinab und von da hinüber zum Stuifen, Rechberg, Staufen. Dem Wanderer ist diese größte und aussichtsreichste Gratwanderung der Schwäbischen Alb als Weiterweg sehr zu empfehlen. Aber wir müssen zuerst unsere Betrachtung des Albuchrandes abschließen, ehe wir zu den Vorbergen übergehen. Denn noch haben wir die beiden anderen Randpunkte ersten Rangs nicht besucht, den Messelberg und die Kuchalb.
Auf dem Kalten Feld
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Der Messelberg (oder Messelstein, 749 m), der gewaltige südliche Nachbar des Kalten Feldes, an Höhe und günstig vorgeschobener Lage ihm wenig nachstehend, teilt mit dem Kalten Feld den Vorzug einer gleichzeitigen Übersicht über die Albhochfläche in weitem Umfang und über das Vorland mit der Kegelkette vom Granegg bis zum Hohenstaufen. Freilich erscheinen diese Kegel hier schon nicht mehr in so reizvoller Verkürzung, sondern breitgedehnt und verflacht. Auch sieht man von der Remsseite des Vorlands nur noch einzelne Stücke durch Lücken zwischen den Vorbergen. Dagegen bietet der vogelschauartige Überblick über das paradiesisch schöne Donzdorfer Lautertal, in das der Messelstein fast senkrecht hineinhängt, und über das reich gegliederte, mit zahlreichen Gehöften geschmückte Vorgebirge, das sich vom Rechberg zum Filstal erstreckt, neue landschaftliche Eindrücke. Alles in allem wird man sagen müssen: der Messelstein verdient den Rang eines der schönsten und großartigsten Aussichtsberge der Alb, dem Kalten Feld aber muss er den Vorrang lassen. Wer vom Kalten Feld herkommt, mag ihn als entbehrlich weglassen; wer vom Messelberg herkommt, findet auf dem Kalten Feld noch wesentlich Neues.
Und nun zum letzten unserer Sterne erster Größe: der Kuchalb (677 m) mit ihren drei Aussichtspunkten Bildstöckle, Meierhalde und Hohenstein. Die Kuchalb kann es an Großartigkeit weder mit dem Kalten Feld noch mit dem Messelstein aufnehmen; aber sie bildet – namentlich beim Bildstöckle am Fahrweg unterhalb des Gehöfts – ein Landschaftsbild von so idealem Reiz, so künstlerisch gegliedertem Aufbau, dass sie kühnlich den Vergleich mit dem oben so gerühmten Hornberg-Luginsland aufnehmen darf. Erscheinen dort die drei Kaiserberge in schönerer Form und Stellung, so tritt hier als neue glänzende Erscheinung die zierliche Ruine Scharfenberg in den Vorder- und Mittelgrund und verleiht nebst den die Talstufen schmückenden Burgen Staufeneck und Ramsberg dem Bilde neuen Formenreichtum. Es gehört zu den köstlichsten Überraschungen, wenn man von Geislingen durch die einförmige Waldenge des Längentals und durch die schlichten Bauernhütten des Gehöfts Kuchalb vortretend plötzlich dieses lichtvolle Prachtgemälde vor sich ausgebreitet sieht. Wie an der nordöstlichen Ecke unseres Gebietes der Rosenstein, so gehört denn auch die Kuchalb an deren südwestlicher Ecke bereits zu den bekannteren und in ihrer Bedeutung anerkannten Punkten der Schwäbischen Alb. Aber doch ist diese Kenntnis noch kaum über Schwaben hinaus gedrungen. Wie wenige von den Tausenden, die dort unten auf der Weltlinie Paris – Wien auf der Jagd nach Sehenswürdigkeiten vorbeisausen, haben eine Ahnung, welchen Naturgenuss sie sich hier oben mit leichter Mühe während kurzer Zugunterbrechung verschaffen könnten! Freilich sind auch die Wege noch ein Hindernis größeren Zulaufs; nirgends auf der Alb sind sie noch in so rückständiger Verfassung wie um die Kuchalb herum, wo die Fremden dazu herhalten müssen, an Stelle einer Straßenwalze die spitzigen Kalkfindlinge in den Boden zu treten.
Mit Rosenstein, Kaltem Feld, Messelstein und Kuchalb haben wir die vier bedeutendsten Randpunkte des landschaftlich so bevorzugten Gebirgsglieds zwischen Rems und Fils herausgegriffen. Aber die Gerechtigkeit erfordert es, unter der Fülle von Aussichtspunkten, die sich hier am westlichen Albuchrand zusammendrängen, noch einige zu erwähnen, die anderswo Größen wären, hier aber neben den ganz Großen bescheiden in den Hintergrund treten. Da ist vor allem der Bernhardus (775 m), der geographische Zentralpunkt des westlichen Albuchrands, an Höhe nur vom Kalten Feld um weniges überragt. Die derzeit stark verwachsene Aussicht preist Eduard Paulus in der Gmünder Oberamtsbeschreibung als "eine der schönsten, nicht allein im Bezirk, sondern auch auf der ganzen Alb, als deren Glanzpartie sich gegen Westen die drei Kaiserberge in einer großartigen Gruppierung und mit ganz klassischen Umrissen erheben, wie sie kein anderer Punkt so herrlich wieder erblicken lässt." Allein letzteres trifft insofern nicht ganz zu, als - wie schon bemerkt - das Luginsland auf dem unteren Kalten Feld, das dem Bernhardus gerade vorgelagert ist und das Paulus offenbar nicht kannte, genau dieselbe Aussicht der Kaiserberge mit noch schönerem Talvordergrund gewährt. - Etwas Neues - nicht an Stoff, aber an Gruppierung - bietet eher die eine Stunde nördlich am Weg zum Rosenstein gelegene Kitzinger Höhe (725 m) mit gleichfalls ganz freiem Blick auf die drei Kaiserberge, die hier in dem anscheinend staffelförmigen Aufbau des Geländes vom Remstal bis zum Bernhardus als prächtige Zwischenglieder erscheinen, wie es uns Kellers Aquarell in gelungenen Farben zeigt; dann noch weiter nördlich das zwischen Bargauer Horn und Scheuelberg gelegene Himmelreich (Gipfel 690 m, Pass 634 m) mit entzückendem Doppelblick einerseits nach den Kaiserbergen, andererseits nach dem Heubacher Tal mit dem Rosenstein.
Südlich vom Bernhardus sind noch zwei Punkte zu erwähnen, die durch ihre beherrschende Rundsicht hervorragen: die Lützelalb bei Weißenstein (746 m), die es aber trotz des schönen Durchblicks durchs Donzdorfer Tal an Lieblichkeit mit den schon genannten Hauptpunkten nicht aufnehmen kann, und die Stöttener Höhe bei Eybach (735 m) mit ihrer Lindengruppe, wo jedoch wegen der Entfernung vom Gebirgsrand befriedigende Talblicke fehlen. Dagegen bietet der unweit der letztgenannten Anhöhe zwischen Kuchalb und Messelberg gelegene Randpunkt Oberweckerstell (625 m) mit dem vorgelagerten Wachtbühl wieder eine Prachtansicht, die sich nur wegen der Ähnlichkeit mit den beiden siegreichen Nachbarn nicht genügend Beachtung verschaffen kann.
Nun ist es aber an der Zeit, dass wir zu jenen "Kaiserbergen" selbst hinansteigen, die auf unserer ganzen Albrandwanderung seit dem Rosenstein den Aussichtsbildern ihren Hauptschmuck und ihre Eigenart verliehen haben und noch lange, bis hinüber zur Teck, diesen Herrschereinfluss bewahren werden.
Aber es ist merkwürdig: gerade der Berg, der von der Ferne am meisten unser Auge beschäftigt und unser Herz erfreut hat, der Hohenstaufen (683 m), bietet auf seinem Gipfel am wenigsten landschaftliche Ausbeute. Merkwürdig, und doch wieder begreiflich! Der Anblick des Hohenstaufenkegels selbst fehlt ja gerade hier im Aussichtsbild, und auch die scharfen Umrisse der beiden Bruderberge, Rechberg und Stuifen, muss das Auge erst mühsam suchen: sie sind zwar sichtbar, aber durch den nahen Hintergrund der höheren Albuchränder gedrückt und verwischt. Der Überblick über das schwäbische Unterland ist hier allerdings umfassender als von jedem anderen Albberge, desgleichen auch der Überblick über die Albkette selbst. Aber die Flachlandaussicht kann man auf der ganzen Alb billig haben: sie fehlt ja an keinem Punkt, den wir überhaupt zu den Aussichtspunkten rechnen, und das Mehr oder Weniger ist für die landschaftliche Schönheit ziemlich gleichgültig; im Gegenteil wird die Flachlandschau eigentlich erst dann wirklich schön, wenn sie von nahen Berggestalten beschränkt wird und als Gegensatz zu deren kräftigen Umrissen wirken kann. Und was die Frontansicht der Schwäbischen Alb betrifft, so hat man diese ja in kaum weniger ausgedehntem Maß von zahlreichen Hügelpunkten des schwäbischen Unterlands. Und der aufmerksame Betrachter wird finden, dass sich die Albfront von niedrigeren Punkten schöner ausnimmt. Dort treten die näheren Vorberge und Vorsprünge beherrschend über den Horizont hervor und geben der Gesamtkette Übersichtlichkeit und Abwechslung; hier auf dem Hohenstaufen steht man der Albfront so hoch gegenüber, dass die flachen Linien der Hochebene an den Horizont treten und das ganze Gebirge als einen einförmigen Wall erscheinen lassen, der nur bei besonders günstiger Luft oder Beleuchtung seine reiche Gliederung verrät. Wir wollen den vielen Besuchern des Hohenstaufens die Freude nicht verderben; denn es ist nicht zu verkennen, dass der unermessliche Umkreis dieser Aussichtswarte auch abgesehen von ihrer geschichtlichen Größe das Gemüt mächtig anregen muss; auch ist zu loben, dass das Flachlandbild hier manche besonderen Reize aufweist vermöge der dichten Besiedlung der Umgegend mit großen und kleinen Wohnplätzen und vermöge der Nähe des Tannengebiets des Welzheimer Waldes. Aber gerade weil der Hohenstaufen einer der wenigen Punkte der Schwäbischen Alb ist, die von Fremden in größerer Menge aufgesucht werden, so muss davor gewarnt werden, den landschaftlichen Wert der ganzen Alb nach dem hier gewonnenen Eindruck zu messen und sich durch den Glauben, hier schon alles Wesentliche auf einmal gesehen zu haben, von tieferem Eindringen abhalten zu lassen. Die Hohenstaufenschau gehört nach ihrem landschaftlichen Charakter mehr dem Vorland als der Alb an, in deren Gebirgsnatur man gerade hier am wenigsten Einblick bekommt.
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Nun zum Rechberg (707 m)! Er ist landschaftlich entschieden ergiebiger als der Hohenstaufen. Zwar ist das umliegende Vorland mit seinen kahlen Ackerflächen auf der Nord- und Südseite weniger anmutig als dort. Gen Osten aber ist das Berggewirr das Albuchrands mit Stuifen und Heldenberg schon nahe genug gerückt, um das Auge zu fesseln. Namentlich aber bildet im Westen der Hohenstaufen mit der Ruine Rechberg im Vordergrund, von den zarten Tönen des Flachlands umflossen, eine ergreifend schöne, unvergessliche Gruppe, die allein schon eine Reise zum Rechberg lohnt und viel mächtiger als eine Besteigung des Hohenstaufengipfels selbst das Gefühl für die Poesie und geschichtliche Größe dieser Gegend weckt. |
Blick übers Waldstetter Tal zum Stuifen
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Der Stuifen (757 m) endlich ist zwar ein unwirtlicherer Geselle als der Rechberg. Während sich dort unter prächtigen Linden behaglich träumen und trinken lässt, muß man hier nach schattenlosem Klettern die Aussicht mühsam durchs Gestrüpp zusammensuchen. Aber streng vom landschaftlichen Standpunkt gemessen ist die Aussicht des Stuifen in ihrer Gesamtheit befriedigender und vollkommener als die des Rechbergs. Das herrliche Bruderpaar Rechberg und Staufen im Westen, das üppige Waldstetter Tal im Norden, der mächtige Waldhang des Kalten Feldes im Osten mit dem Graneggkegel im Vordergrund und die freundliche Ackerterrasse von Wißgoldingen im Süden mit dem Berghintergrund der mittleren Alb in schon günstigerer Profilstellung: das alles ist so übersichtlich geordnet, so fern von jedem verwirrenden Vielerlei, dass die ganze Rundschau einen in seltenem Maß harmonischen Gesamteindruck macht. So dürfte sich also der Landschaftsfreund eigentlich die Erklimmung des Stuifen nicht sparen, wenn nicht eins ihn abhielte: die Nähe des bequemer besteigbaren Kalten Feldes mit seinen ähnlichen, noch vortrefflicheren Aussichten.
Es hat etwas Willkürliches, die eben betrachteten drei Kegel unter dem Ausdruck "Kaiserberge" zusammenzufassen. Man könnte ebensogut noch die zwei weiteren Gipfel des ganzen Vorgebirges dazu nehmen, den schöngeformten Granegg, der von unkundigen Talbewohnern auch "Kleines Rechbergle" genannt wird, übrigens mit seinen 687 m immer noch höher als der Hohenstaufen, und den abseits liegenden Heldenberg (711 m). Während die Aussicht des Granegg unbedeutend ist, vermag der Heldenberg mit seiner anmutigen Waldoberfläche auch den verwöhnten Wanderer wohl zu befriedigen; besonders Staufen und Rechberg mit ihren vorgelagerten Dörfern nehmen sich hier wieder recht hübsch aus.
Damit haben wir endlich das Berggebiet zwischen Rems und Fils erschöpft und können dem Wanderer den praktischen Rat mitgeben: Besuche jedenfalls den Rosenstein, das Kalte Feld, den Rechberg und die Kuchalb in Verbindung mit den Talpunkten Lorch, Gmünd, Weißenstein und Eybach; dann hast du in zwei Tagen alles Wesentliche dieses bedeutsamen Landschaftsstücks kennen gelernt.