Der Albtrauf vom Neidlinger bis zum Honauer Tal, der nach seinen drei hervorstechendsten Punkten Teck-Neuffen-Achalm-Gebiet genannt werden müßte, wenn man nicht den kürzeren Namen "Zentralalb" wählen will, galt von jeher als die Glanzpartie der Schwäbischen Alb und wird sich diesen Ruhm mit Fug und Recht dauernd behaupten. Zwar die einzelnen Aussichtspunkte für sich betrachtet bringen gegenüber den Glanzpunkten der Ostalb keine Steigerung. Aber die sehenswerten Punkte sind dichter gehäuft und wechselvoller und ermöglichen eine reichere Fülle lohnender Wanderungen. Das machen die vier nahe bei einander liegenden Paralleltäler, die das Gebirge zergliedern, das Neidlinger, Lenninger, Uracher und Honauer Tal, jedes wieder von anderer Eigenart, das macht der Felsenreichtum des ganzen Gebirgsstücks, dem die Bergränder ihre kühnen, zackigen Formen verdanken, das machen die zahlreichen Vorberge, von denen bei aller Harmonie des Gesamtcharakters keiner dem andern gleicht, das macht auch die Fruchtbarkeit der Täler mit ihren üppigen Obstwäldern, ihren sauberen, wohlhabenden Wohnplätzen, ihren guten Herbergen.
Unsere Aufgabe, die einzelnen Aussichtspunkte nach ihrer Schönheit zu sichten, begegnet in diesem Teil des Gebirges größeren Schwierigkeiten als anderswo, nicht bloß wegen der großen Zahl der Punkte, sondern auch wegen ihrer stofflichen Mannigfaltigkeit. Die zahlreichen landschaftlichen Sehenswürdigkeiten liegen großenteils in den vier einander ziemlich ebenbürtigen Tälern verborgen, und so gibt es nicht wie im Hohenstaufengebiet oder im Ries Aussichten, die alle wesentlichen Punkte der Gegend zusammenfassen; vielmehr teilen sich die einzelnen Aussichtspunkte haushälterisch und neidlos in die zahlreichen Reize der Gegend, so dass man sich weniger versucht fühlt, sie untereinander abzustufen, sondern höchstens je nach Tageszeit oder der Wegrichtung den einen Standpunkt für günstiger oder überraschender erklären wird als den anderen. Als allgemeine Regel darf übrigens der Erfahrungssatz vorangestellt werden, den wir schon auf unserer bisherigen Wanderung erkannt haben: Suche die vorzüglichsten Schönheiten nicht in der Talsohle, sondern auf den Höhen; suche sie aber nicht in erster Linie auf den Gipfeln der Vorberge, sondern auf den Felskanten der Hochebene, sei es an der Stirnseite des Gebirgs oder seitwärts an den Talrändern. Wer nach diesem Rezept, der klaren Gliederung des Gebirgs folgend, beharrlich den äußersten Bergkanten entlang die Täler umwandert, das Innere der Hochebene vermeidend, der bedarf keines Führers, sondern ist sicher, die köstlichsten Reize der Gegend zu finden, und reichen, stets frischen Stoff für sechs starke Tagesreisen zu haben. Freilich mühsam sind oft diese Randwanderungen und auch nicht immer so leicht zu finden, wie es nach der Karte den Anschein hat. Aber mit Recht hat der Albverein es als eine seiner Hauptaufgaben erkannt, für bequeme Gangbarkeit dieser Randstrecken zu sorgen und so mit der Zeit die ganze Alb sozusagen in einen ununterbrochenen Panoramaweg zu verwandeln.
Eine der bequemsten und genussreichsten Randwanderungen bildet gleich die erste Strecke unseres Gebiets, der Ostrand des Neidlinger Tals vom Aichelberg bis zum Reußenstein. Diese Wanderlinie, die den geeignetsten Zugang vom Neckartal zum Reußenstein und damit für die von dieser Richtung herkommenden Wanderer den besten Eröffnungsmarsch der Zentralalb bildet, verdient mehr bekannt zu werden. Sie enthält zwar keine Einzelpunkte von zugkräftigem Klang; als Ganzes betrachtet darf sie aber den Rang einer Aussichtsstrecke ersten Rangs beanspruchen, und zur vollständigen Kenntnis des Neidlinger Tals ist sie notwendig. Denn auf der anderen Talseite oder gar in der Talsohle bekommt man keinen richtigen Begriff von dessen Schönheit, und auch hinten auf dem Reußenstein ist der landschaftliche Eindruck kein vollständiger. Der Reiz dieser Wanderung wird auch dadurch erhöht, dass sie in zwei verschiedenartige Hälften zerfällt, einen Gratweg in halber Höhe (200 m über dem Tal) und einen Talrandweg in voller Gebirgskammhöhe (400 m über dem Tal).
Von dem schon im vorigen Abschnitt gerühmten Aichelberg führt zunächst der streckenweise noch verbesserungsbedürftige Gratweg über ein waldiges Vorgebirge mit Doppelaussicht (einerseits nach dem Neidlinger Tal und der Zentralalb, andererseits nach dem Boller Albvorland und dem Hohenstaufengebiet) zum Bossler (806 m), dem gewaltigen Eckpfeiler der Filsalb, der im Verein mit dem gegenüberliegenden Breitenstein den Eingang des Neidlinger Tals bewacht. Die derzeit stark verwachsene Aussicht vom vorderen Gipfel befriedigt zwar nicht in dem Maß, wie es dieser beherrschende Punkt vermuten läßt, und bietet wenigstens für den von vorn Herkommenden wenig Neues. Um so reizvoller wird's beim Weiterwandern, wenn sich beim "Gruibinger Wiesle" über den großen Erdschliffen das Neidlinger Tal auftut. Die ganze, neuerdings gangbar gemachte Randstrecke von da bis zur Poststraße Neidlingen - Wiesensteig bildet einen Aussichtsweg von malerischem Reiz mit zahlreichen Felsenstandpunkten, wobei namentlich die Verschiebungen des keck ins Tal vorgestreckten kegelförmigen Erkenbergs für die gehörige Abwechslung sorgen. Für die von Wiesensteig herkommenden Besucher des Reußensteins, denen diese Randstrecke nicht auf dem Weg liegt, genügt es, wenn sie von der Paßhöhe an der Poststraße beim Eckhof (736 m) einen viertelstündigen Abstecher nach rechts zum nächsten Randvorsprung machen, der den Namen Anger führt und wohl als der schönste Aussichtspunkt des Neidlinger Tals gelten darf.
Das selbstverständliche Ziel aller Besucher des Neidlinger Tals bildet mit Recht die im hintersten Talwinkel gelegene Burgruine Reußenstein (751 m). Wenn auch an Vollkommenheit der Aussicht einige uns schon bekannte Talrandpunkte voranstehen, so ist doch auch hier der Durchblick aus der Felsenenge hinaus ins hell abgetönte Unterland noch reizend genug, um in Verbindung mit der wilden Größe der Felsenruine selbst diesem stimmungsvollen Platz den Rang eines der Glanzpunkte der Schwäbischen Alb dauernd zu sichern.
Der Westrand des Neidlinger Tals vom Reußenstein zum Breitenstein ist als Verbindungsstrecke zwischen Teck und Reußenstein wichtig und viel begangen. Die Gebirgskanten sind aber hier zu zerrissen, um eine zusammenhängende Randwanderung zu ermöglichen, und nicht so aussichtsreich wie der Ostrand des Tals. Aber zwei Sehenswürdigkeiten machen auch diese Strecke lohnend, der Heimenstein (763 m) mit seinem Felsenloch und schönem Rückblick auf den gegenüberliegenden Reußenstein, und das Randecker Maar (732 m), das nicht nur geologisches Interesse als augenfälligste Erscheinung des Vulkangebiets der Zentralalb verdient, sondern auch landschaftlich eine allerliebste Überraschung bereitet. Bei der Wanderung um den oberen Kraterrand treten nämlich nach einander wie in einem Wandeldiorama sämtliche Albkegel zwischen Teck und Albuch in die Lücke, die durch die Abbruchstelle des Kraters freigelassen ist: Limburg, Aichelberg-Turmberg, Hohenstaufen, Rechberg, Stuifen.
Heimenstein und Randecker Maar gehören bereits der gewaltigen Berghalbinsel an, die sich zwischen Neidlinger und Lenninger Tal bis zu 827 m Meereshöhe erhebt und die wir in Ermangelung eines besseren Gesamtnamens die Schopflocher Platte nennen wollen (nach dem größeren der beiden auf ihrem Rücken liegenden Dörfer). Die Stirnseite dieses Gebirgsstücks zieren drei hochbedeutsame Bergpunkte: der Vorberg Teck und die Randvorsprünge Breitenstein und Rauber.
Die Teck (775 m, Turmhöhe 800 m), oder richtiger der Teckberg mit der Ruine Teck, ist als eine der hervorragendsten Zierden der Schwäbischen Alb längst anerkannt, und ihr Ruhm ist noch gewachsen, seit die zerfallene Burg wieder einen Ersatz gefunden hat in dem bis ins fernste Unterland sichtbaren Aussichtsturm. Dabei zeichnet sich der Berg vor allen anderen Albbergen durch seine proteusartige Vielgestaltigkeit aus. Jeder Schwabe kennt die Teck, aber jeder hat wieder ein anderes Erinnerungsbild von ihr, je nach der Lage seines Heimatorts: dem Einen ist sie eine schlanke, hochragende Kuppe mit dem Turm in der Mitte, dem Andern eine wellig ins Unterland hereingeschwungene Nase mit schief wie ein Nasenklemmer aufgesetzten Türmchen, dann wieder ein langer Waldrücken oder ein breit gelagerter Doppelgipfel. Auch als Aussichtspunkt besitzt die Teck einen fest begründeten Ruf. Um den Rang des bedeutendsten Aussichtsbergs zwischen Hohenstaufen und Rossberg streitet sich übrigens mit ihr der benachbarte Breitenstein, der noch um einige Meter höher ist (811 m) und stofflich so ziemlich dieselbe Rundschau bietet: vorn ein unermeßliches Stück Unterland, hinten ein beträchtliches Stück Alboberfläche, rechts und links den Albrand mit seinen Vorbergen in eng gehäuften Gruppen, deren Glanzpunkte rechts die Kaiserberge, links Neuffen und Achalm sind. Aber trotz dieser Gleichartigkeit des Stoffs macht keiner der beiden Berge den andern entbehrlich: der Teckberg hat außer der geschichtlichen Berühmtheit die schönen Felspartien, den köstlichen Bergwald, den reizvollen Gratweg voraus; der Breitenstein aber hat nicht nur den praktischen Vorzug, dass er auf der Höhenwanderlinie im Vorbeigehen berührt wird, sondern er hat auch als Aussichtspunkt bemerkenswerte Vorzüge. Während nämlich auf der Teck der Beschauer gleichsam zu nackt, zu ungedeckt im Flachland drin steht und zu aufdringlich von ihm umringt wird, genießt der Breitenstein den schon früher gerühmten Vorzug der Randpunkte, denen eine Vorberg (nämlich hier der Teckberg selbst) Deckung, Vordergrund, "Staffage" verleiht. - Noch viel herrlicher aber tritt dieser landschaftliche Vorzug in Wirksamkeit, wenn wir vom Breitenstein noch ein halbes Stündchen westwärts herüberwandern zum Rauber (oder Diepoldsburg, 791 m). Der vom Breitenstein aus gesehen noch zu langgedehnte Teckberg hat sich hier eng zusammengewunden und offenbart jetzt erst als Mittelpunkt des Landschaftsbilds seine vollkommene Schönheit. Treten wir vom Diepoldsburger Hof auf der felsigen, mit anmutigen Tannengruppen geschmückten Bergnase vor, bis die wohlerhaltene Ruine Rauber (die unterste der drei Burgen der Diepolde) als Vordergrund ins Bild tritt, so fühlen wir uns sofort an einen jener auserlesenen Punkte versetzt, wo man sagen kann, dass die Landschaft durch glückliche Zusammenfügung sich selbst übertroffen habe. Doch möge der Wanderer auch den Besuch des höchsten Punktes der Diepoldsburger Höhe nicht versäumen, des unmittelbar südlich vom Diepoldsburger Hof oder östlich vom Engelhof ansteigendenden Heidehügels Braike (804 m). Hier, wo die Albhochfläche selbst mit den genannten beiden gastlichen Höfen einen angenehmen Vordergrund bildet, genießen wir noch einmal dasselbe schöne Bild von freierem Standpunkt aus als vorn auf dem Bergrücken, wo die emporwachsenden Tannen den Umblick zu verhüllen drohen. Freilich die Hohenstaufenlandschaft verbirgt der nahe Breitenstein und mahnt uns, dass er neben dem Rauber nicht unbesucht bleiben soll. Beide Punkte ergänzen sich gegenseitig; in ihrer Ergänzung aber bieten sie, wie mir dünkt, mehr als die Teck und mögen vorgezogen werden, wenn der eilige Wanderer einen Auswahl treffen muss.
Mit dem Westrand der Schopflocher Platte haben wir zugleich den Saum des Lenninger Tals erreicht. - "Lenninger Tal!" welchem Schwaben klingt das Wort nicht bekannt in den Ohren? Und wem fällt dabei nicht ein anderes Wort ein: Kirschenblüte! Es ist ein althergebrachter Satz - man weiß nicht, von wannen er kommt -, ins Lenninger Tal müsse man zur Kirschenblüte gehen. Ach, wie viel unnötige Enttäuschung hat schon diese Legende von der Kirschenblüte gebracht! Denn es gibt so ungeschickte Leute, die mit diesem Vorsatz im Kopf auf ihrem ganzen Sonntagsausflug nichts anderes zu tun wissen, als im Tal nach blühenden Kirschenbäumen herumzusuchen, und die schließlich die einzige Weisheit heimnehmen, mit der Kirschenblüte sei es Schwindel, das habe man daheim auch. Und doch ist etwas Wahres an dem alten Lockruf, gerade um diese Jahreszeit zu kommen: nicht um der Kirschenblüte willen, die man allerdings in jeder beliebigen Gegend des Albvorlandes oder Unterlandes ebenso gut sich anschauen kann, sondern weil gerade um diese Zeit auch die Albberge selbst am schönsten sind. Darum laß die Kirschenbäume und steig hinan zu den Wäldern, wo aus dem Glanzbraun der Buchenzweige das erste zarte Grün des Waldbodens schimmert und der edle Blumenflor des Vorfrühlings prangt, blick herab von den Felsenrändern ins Tal, wo das junge Saftgrün der Wiesen aus dem braunen Rahmen der Waldwände so leuchtend hervorstrahlt, und schau rings umher den Leib des Gebirges mit seinen rauhkantigen Rippen und Runzeln, seinen weißen Zähnen und Rückgratzacken, alles noch in nackter Urgestalt, nur leicht umschleiert durch das lose Netz des knospenschwellenden Waldgeästs, - dann enthüllt sich dir ein Formen- und Farbenreichtum, wie du ihn im Spätfrühling oder Hochsommer vergeblich suchst, wann ein gleichfärbiges Dickgrün Wälder, Wiesen und Felder überzogen hat und die scharfen Linien des Gebirgs unter dem dichten Mantel des Laubwaldes verborgen liegen! Erst zur Sterbezeit der Planzenwelt, wann der große Künstler Herbst durch die Täler zieht und die Gewänder der Berge mit seinen Purpurfarben übermalt, erwacht die Alb aus ihrem Sommerschlaf zu neuem Leben und neuen Wundern...
Der Ostrand des Lenninger Tals (also Westrand der Schopflocher Platte), der vom Rauber über die Wielandsteine zu den Gutenberger Höhlen führt, ist wie der entgegengesetzte Rand dieser Berghalbinsel zu sehr ausgezackt, um eine förmliche Randwanderung zu ermöglichen; wenigstens ist bis jetzt kein gangbarer Randweg vorhanden. Man geht gewöhnlich von der Diepoldsburg schräg über die Hochebene zum Wielandstein und von da wieder querdurch zu den Gutenberger Höhlen. Und das genügt auch. Denn die Wielandsteine (697 m) sind der Hauptpunkt der Strecke, der die weiteren Randpunkte entbehrlich macht. Der richtige Aussichtspunkt ist übrigens nicht auf der vorgeschobenen Bergzunge zu finden, die von den gewaltigen Felstürmen der Wielandsteine selbst besetzt ist, sondern auf dem dahinter an der Bergkante thronenden Greutfelsen (oder Hochgereut, 788 m), dessen unscheinbarer Zugangspfad im Walddickicht leicht übersehen wird. Im Vordergrund die pittoresken Wielandsteine, in der Tiefe das gesegnete Lenninger Tal, gegenüber die scharf umränderte Lenninger Platte, die wegen ihrer etwas tieferen Lage vollständig überschaut wird, und im Talausschnitt ein großes Stück Unterland: ein geschlossenes Gesamtbild voll Klarheit der Anordnung, voll Harmonie der Kontraste. - Die anderen hübschen Felsenpunkte zwischen Rauber und Wielandstein - Lämmlesfels beim Engelhof, Mittagsfels über Oberlenningen - bieten nur Wiederholungen. Eher wäre es der Mühe wert, auf der zweiten Hälfte der Strecke (vom Greutfelsen bis zu den Gutenberger Höhlen) einen Randweg herzurichten, um den schönen Einblick ins gegenüberliegende Schlattstaller Tal nicht zu versäumen. Doch ist's auch nicht ohne Reiz, zur Abwechslung ein kurzes Stück der Hochebene zu durchqueren, um nachher die Überraschung zu genießen, wenn beim Krebsstein der Fuß plötzlich wieder an den Abgrund tritt.
Wie das Neidlinger Tal den Reußenstein, so hat auch das Lenninger Tal einen Talschluß von hervorragender Anziehungskraft: den Felsenkessel von Gutenberg mit seinen funkelnden Tropfsteinhöhlen. So sorgt die Bauart des Gebirgs von selbst für geistige Erfrischung des Wanderers: auf die lichtvollen Fernblicke der Stirnränder folgt die lauschige Abgeschiedenheit der Talwinkel. - Um einen richtigen Eindruck von der einzigartigen Lage Gutenbergs zu gewinnen, ist es notwendig, zwei Felsenpunkte zu besuchen, die mit der Besichtigung der Gutenberger Höhlen verbunden werden können: erstens den Felsengarten des Krebssteiner Wirts auf der Westseite des Gehöfts Krebsstein (714 m), wo der Wanderer beim Trunk in der ländlich einfachen Gartenhütte eine Gesamtsicht des Talkessels genießt, der mit der Felsenklause "Pfulb" so großartig abschließt, und dann drüben den Rand der Pfulb selbst, und zwar den Ostrand, 5 Minuten südlich von Schopfloch (761 m), wo der Blick über die jähe Felsenkluft hinaus in das sich weitende Tal eine der packendsten Szenerien der ganzen Alb abgibt. - Von den übrigen Ästen des vierteiligen Talschlusses bieten die beiden mittleren, das Donntal, mit der Ruine Sperberseck, und die wasserlose Böhringer Schlucht nichts Hervorragendes. Der westliche Arm dagegen, das Schlattstaller Tal, endigt in einer Doppel-Felsschlucht, die zum Wildesten und Urwüchsigsten der Alb gehört, der großen und kleinen Schröcke. Um einen richtigen Eindruck zu bekommen, darf man sich aber nicht mit dem vielbegangegen Weg von Gutenberg durch die Kleine Schröcke nach Urach begnügen, sondern darf den kleinen Abstecher zu dem zwischen beiden Schluchten trefflich gelegenen Schröckenfelsen nicht scheuen.
Der Westrand des Lenninger Tals von Schlattstall bis zur Bassgeige besteht aus einer verhältnismäßig schwach gegliederten Wand mit ziemlich ebener Kante und vermag deshalb vom Tal aus gesehen nicht in gleichem Maße zu fesseln wie der markig ausgeprägte Ostrand mit Teck, Rauber, Wielandstein, Krebsstein. Umsomehr eignet sich diese Talseite als Aussichtsstandort, umsomehr eignet sie sich auch zu zusammenhängender Randwanderung und bildet eine landschaftlich so genussreiche Verbindungslinie zwischen Gutenberg und Hohenneuffen, dass es zu verwundern ist, wie wenig Beachtung bisher dieser Höhenweg gefunden hat. Erst von hier aus gesehen offenbart sich das Lenninger Tal in seiner ganzen Farbenpracht. Während von den gegenüberliegenden Rändern das Tal immer nur stückweise zu sehen ist, liegt es hier von den hintersten Felsenwinkeln bis zum Neckar hinab in einer Linie mit all seinen Schmuckstücken offen vor Augen, und der Teckberg, frei vor dem Talausgang als Beschützer und Herrscher des Tals aufgepflanzt, kommt erst hier in seiner ganzen landschaftlichen Größe zur Geltung.
Der rüstige Fußgänger, der die Randwanderung schon hinten am Schröckenpaß beginnt, wo der Heidengraben die Neuffener Platte abschließt, findet auf dem Rundweg am Saum des Schlattstaller Seitentals verwegene Felsenstandorte, die den Schröckenfels an Wildheit noch übertreffen, namentlich auf der weltabgeschiedenen Ruine Hofen oder noch besser auf dem ihr nördlich jenseits einer Kluft gegenüberliegenden Felsenrand. Dann geht's über die Fahrsteige Oberlenningen - Grabenstetten, die von Bequemeren als Aufstieg gewählt werden mag, zu der Bergecke zwischen dem Schlattstaller Tal und dem Haupttal vor, die auf der Karte den Namen Wachtelberg führt. Hier, wo eine Waldschneise mit Ruhebank am Platz wäre, überrascht ein entzückender Einblick in den Felsenkessel von Gutenberg. Es ist der einzige Punkt, wo man dieses abgeschlossene Stück Landschaft von außen gleichsam wie durchs Schlüsselloch sehen darf. Dann folgt de 3stündige Glanzstrecke am Rande des Haupttals mit einer Reihe köstlicher Felsenstandorte. Gleich einer der günstigsten Punkte ist ein noch namenloser Felsvorsprung an der Nordseite der Bergrinne, durch die der Fußsteig Oberlenningen - Grabenstetten die Hochebene erklimmt. Die Talstrecke von Oberlenningen bis Owen mit ihren vier freundlichen Ortschaften liegt hier in reizvoll verkürzter Linie vor Augen, symmetrisch umhüllt rechts von dem schlank geformten Teckberg, links von der basteiartigen Bassgeige; der Talausblick läßt ein hübsches Stück Unterland mit Rotenberg, Kernen, Wunnenstein frei; die gegenüberliegende Bergwand schmücken die Wielandsteine, den Blick talaufwärts die Pfulbfelsen und die Gutenberger Steige. - Von hier geht's über die Hirschtalfelsen hinter dem turmähnlichen Konradsfelsen vorbei zum Südrand des scharf eingeschnittenen Schmaltals mit fortdauernder Prachtschau, besonders von der vordersten Felsenkanzel des Schluchtrandes. Die genannte Seitenschlucht mit dem merkwürdigen Kesselfinkenloch scharf umgehend gelangt man über die sonnigen Kammfelsen hinaus zu dem zerklüfteten Schrofelfelsen (oder Schröffelfels, 700 m), wo zu dem bisherigen Bild noch eine allerliebste Überraschung kommt: ein Durchblick durch den Sattelbogen zwischen Teck und Rauber auf den bläulichen Hohenstaufen. Endlich geht's an Erkenbrechtsweiler vorbei, dem Ostrand der Bassgeige entlang hinaus zum Bruckerfelsen (726 m), dem einzigen bekannteren und stärker besuchten Punkt der Strecke, der einen besonders bei Abendbeleuchtung günstigen Rückblick talaufwärts neben viel Flachlandschau gewährt.
Alle die genannten Randpunkte zwischen Wachtelberg und Bruckerfels bieten zwar im wesentlichen denselben Stoff. Aber dieser Stoff ist so köstlich, dass er nicht so bald sättigt. Überdies sorgen die Felsen im Vordergrund und die allmählichen Talverschiebungen für Abwechslung. Der eilige Fremde, der sich mit einer Teilstrecke begnügen muss, möge die Strecke vom Ende des Schmaltals über den Schrofelfelsen nach Erkenbrechtsweiler wählen, da die hintere Strecke derzeit noch mühsamer zu begehen ist und die vordere Strecke (von Erkenbrechtsweiler bis zum Bruckerfels) den landschaftlichen Nachteil hat, dass sie die Teck von ihrer weniger günstigen Langseite zeigt. Wer aber in der Zeit oder Kraft so beschränkt ist, dass er nur eine der beiden Seiten des Lenninger Tals ersteigen kann, dem geben wir mit Baedeker den Rat, Teck nebst Rauber und Breitenstein zum Opfer zu bringen, um einen der Randpunkte der westlichen Talseite besuchen zu können, von wo er ja zugleich ohne weitere Steigung zum Hohenneuffen gelangen kann.
Mit dem Brucker Felsen sind wir schon an der Stirnseite der ausgedehnten Berginsel zwischen Lenninger und Uracher Tal angelangt, die wir die Neuffener Platte nennen. Denn ihr Hauptpunkt ist der Hohenneuffen (743 m). Obgleich kein voll entwickelter Vorberg, sondern mehr ein stark vortretender Erker der Hochebene, ist er doch der auffallendste und weithin am sichersten erkennbare Albberg. Und nicht bloß die auffallendste, sondern auch die schönste Berggestalt ist's. Denn von den vielen schöngeformten Kegelbergen der Alb trägt keiner einen so eigenartigen Kopfschmuck, wie diese dem Fels scheinbar natürlich entwachsene Mauerkrone. Freilich der Hohenzoller ist auch herrlich geschmückt und eine nicht minder köstliche Augenweide. Aber der Hohenneuffen mit seinen sagenhaft altehrwürdigen Mauern ergreift fast noch mehr das Gemüt, und seine Lage im Mittelpunkt des Glanzteils der Schwäbischen Alb hat er jedenfalls vor dem abseits gelegenen Zollern voraus. - Es ist ein guter Beweis für den Formenreichtum der Gegend, dass die Aussicht vom Gipfel des Hohenneuffen selbst, wo ja der Hauptschmuck der Landschaft im Bilde fehlt, doch in hohem Grad befriedigt. Der anschauliche Gegensatz zwischen den beiden Hälften des Rundbilds, der üppig fruchtbaren Tiefebene und der rauheren Hochebene, und der jähe, formbewegte Übergang zwischen beiden Landschaftsteilen ist fesselnd, und malerisch ist der Blick gegen Westen auf den schöngeschwungenen Neuffener Grat, der noch die Achalm freiläßt und einige hübsch geformten Vorkegel (Florian, Grafenberg) weit ins Unterland hinausschiebt.
Aber der Satz, dass die Umgebung des Hauptpunktes günstigere Aussichtsstandpunkte liefert als der Hauptpunkt selbst, erleidet auch hier keine Ausnahme; im Gegenteil gilt er von einem so hervorragenden Schaustück der Gegend in erhöhtem Maß. Und wenn wir uns unter den zahlreichen Aussichtspunkten des Umkreises, die Hohenneuffens Felsenbild schmückt, wieder nach dem Besten umsehen, so finden wir auch darin wieder einen Erfahrungssatz bestätigt, dass die Punkte der Gebirgsseite - auch abgesehen von dem weiteren Gesichtskreis - Vorzüglicheres bieten als diejenigen der Flachlandseite, nicht nur auf Grund der allgemeinen Regel, dass der Umriss eines Kegels von einem erhöhten Standpunkt aus günstiger wirkt als von unten, und dass das duftig abgetönte Flachland einen wirksameren Hintergrund abgibt als eine nahe Bergwand, sondern hier noch aus dem besonderen Grund, dass die Festung gerade der Bergseite ihre ansehnlichsten Teile entgegenstreckt, insbesondere ihre beiden mächtigen Rundtürme von fast künstlerischer Wirkung.
Das Berggebiet, dem die Gestalt des Hohenneuffen ihre volle Schönheit zeigt, fällt genau mit der Stirnseite der Neuffener Platte zusammen, also mit der Randstrecke zwischen den beiden Eckpfeilern Bassgeige und Kienbein. Nirgends ist's so einfach und mühelos, die zum Ausblick geeigneten Nachbarpunkte zu finden; und es gehört schon eine erhebliche Ungeschicklichkeit dazu, wenn ein Besucher des Hohenneuffen sich den Genuss entgehen läßt, auch einen dieser Standorte, wo ihm der Hohenneuffen als Bild gegenübersteht, in die Bergfahrt einzubeziehen. Wer den Berg vom Neuffener Tal aus besteigt und wieder dahin zurückkehrt, braucht nur einen viertelstündigen Spaziergang auf der mit reizenden Waldgruppen, Heiden und Randfelsen geschmückten Bergzunge zu machen, die den Hohenneuffen mit dem Albfestland verbindet. Denn schon aus nächster Nähe, wo der Felsenaufsatz des Bergs allein vor Augen steht, ist die Wirkung ergreifend, unvergeßlich. Aber sie steigert sich noch, wenn auf einem Randspaziergang abwärts zum Wilhelmsfelsen (730 m) oder südwärts bis zum oberen Ende der Steige Neuffen - Hülben der ganze Sockel des Bergs mit ins Sehfeld tritt. Am schönsten ist's vollends, die ganze Kante der Hochplatte zwischen dem Hohenneuffen und einem der beiden Eckpunkte Bassgeige oder Kienbein zu umgehen oder gar die ganze Strecke zwischen Lenninger und Uracher Tal. Denn gerade diese beiden Eckpunkte leisten das Vollkommenste an glücklicher Gruppierung dieser bevorzugten Landschaft, auch abgesehen davon, dass sie zugleich Einblicke in die Nachbargebiete gestatten, die Bassgeige ins Lenninger Tal, das Kienbein ins Uracher Tal.
Von der Bassgeige - so genannt nach der scharf modellierten Form der Oberfläche - kennen wir ja schon die Ostseite mit ihrer trefflichen Gesamtansicht des Lenninger Tals vom Brucker Fels. Die Westaussicht gegen das Neuffengebiet finden wir auf dem Beurer Felsen (721 m), einem luftigen Felsenhorst am Ende des schmalen Geigenhalses. Herrlich steht hier der Hohenneuffen gegenüber an die Bergwand gelehnt, die hier durch keine unschöne Stelle entstellt ist (denn die kahle Beurer Rutsche ist hier verdeckt), und von deren Rücken das Dörfchen Erkenbrechtsweiler herübergrüßt. Auch das zu Füßen ausgebreitete Tiefland hat lebhafte Partien: vorn den anmutvollen Beurer Talkessel mit einigen ganz kleinen Vulkankegeln, dann die Kegel des Metzinger Albvorlandes und in der Ferne die ausgeprägten Hügel um Tübingen. - Eine ähnliche Eckbastei, wenn auch nicht so felsig, bildet im Westen das Kienbein (711 m), dessen urwüchsiger Name leider durch den nichtssagenden Namen "Karlslinde" verdrängt zu werden droht, seit die Hülbener ein Bäumchen dieses Namens auf der Bergecke gepflanzt haben. Hier, etwa 50 Schritte östlich vom Eckbänkchen, ist wieder ein auserlesener Standort, wo fast noch mehr als auf dem Beurer Fels die Neuffenlandschaft zu einem künstlerischen Bild geordnet erscheint. In stolzer Größe steht rechts wieder die Feste Hohenneuffen als Wächter des Neuffener Tals, das in schnurgerader Linie vom Ursprung bis zur Mündung mit all seinen vier stattlichen Ortschaften den Mittelgrund füllt, während zur Linken der weich geformte Neuffener Grat sich wie ein Lindwurm ins Flachland hinauswindet.
Diesem langgestreckten Vorgebirge, das nebst seinen vulkanischen Vorkegeln so wesentlich zum malerischen Charakter der Gegend beiträgt, ist noch ein Wort zu widmen.
Die bequeme, schattige und lustige Gratwanderung vom Kienbein übers Neuffener Hörnle zum Jusi bildet die geeignetste Wanderverbindung zwischen dem Hohenneuffen und der Neckarbahn und eine angenehme Abwechslung gegenüber den vorwiegenden Randwanderungen der Gegend. Doch bietet sie für den Kenner der benachbarten Hauptpunkte wenig Neues. Der höchste Punkt des Grats, das Neuffener Hörnle (707 m) wird erst dann von Bedeutung werden, wenn der längst ersehnte Aussichtsbau die Doppelschau ins Neuffener und Uracher Tal voll erschließt. Der vorderste Punkt, der Jusi (663 m), hat zuviel Flachland vor sich und das Gebirge zu sehr im Rücken, so erquickend auch die Rast und Umschau auf der anmutigen Heide des luftigen Scheitels ist. - Als Aussichtspunkte bedeutender sind die dem Jusi vorgelagerten Vulkankegel Florian (522 m), Grafenberg (463 m), Geigersbühl (408 m) und Metzinger Weinberg (488 m). Denn sie bieten vermöge ihrer vorgeschobenen Lage eine treffliche, namentlich bei Nachmittagsbeleuchtung günstige Frontansicht der Alb. Unter ihnen steht nicht nur durch seine Höhe, sondern auch durch seine glückliche Lage der Floriansberg bei weitem an erster Stelle und ist mit Recht längst als einer der vorzüglichsten Aussichtspunkte der Schwäbischen Alb bekannt. Er ist der einzige Berg der Alb, wo Hohenstaufen und Hohenzoller gleichzeitig sichtbar sind.
Sie bilden gerade die Eckpunkte des Panoramas, beide etwa gleich weit entfernt, und so stehen wir hier recht eigentlich in der Mitte der Schwäbischen Alb. Trotz dieser Ausdehnung des Blicks ist man dem Gebirge noch nahe genug, um einen vollen Einblick in seine reiche Gliederung zu bekommen. Mit plastischer Deutlichkeit treten die Hauptpunkte (Neuffen, Achalm, Teck u.a.) über den Horizont hervor. Der rundliche, vom Albtypus so auffallend abweichende Jusi bildet einen seltsamen, aber nicht unwürdigen Mittelpunkt des Aufbaus; denn er ist ja der Zentralvulkan des Eruptivgebiets, in dessen Mitte wir hier stehen. Auch ein Einblick in ein Gebirgstal fehlt dem Florian nicht: das Ermstal mit Hohenurach.
So sind wir denn am Rande des Uracher Tals angelangt. Urach nennt sich die Perle der Schwäbischen Alb. Und in der Tat ist unter den vielen Perlen dieser Gebirgskette das Uracher Tal eins der wertvollsten. Der Reichtum an Wäldern, die zum Teil bis zum Talboden reichen und auch noch die Bergoberfläche weithin überdecken, die mannigfaltige Durchfurchung der Bergwände mit größeren und kleineren Tälern und Schluchten, die Menge an Felsen, Höhlen, Wasserfällen und allerhand hübschen Spaziergangszielen machen Urach zu einem Erholungsplatz ersten Rangs für alle, die Erfrischung der Nerven durch Bewegung in schöner Natur suchen. Aber auch vom flüchtigen Reisenden darf Urachs Umgebung eine ausführlichere Behandlung beanspruchen, als sie ihr gewöhnlich zu Teil wird. Es gibt hier nicht wie anderswo Punkte, die alle wesentlichen Bestandteile der Gegend mit einem Blick überschauen lassen. Die schon zu Eingang dieses Abschnitts hervorgehobene Eigentümlichkeit der Zentralalb, die man die Verteilung der Schätze nennen kann, besitzt Urach in besonders ausgeprägtem Maß. Die vier sich hier kreuzenden Täler sind gleichbedeutemd mit vier völlig verschiedenen Landschaftsstücken. Das breite, üppige Haupttal, das kühle, wildromantische Seeburger Tal, das waldstille, schluchtenreiche Elsachtal und das wundervolle, quelldurchrauschte Brühltal - jedes hat wieder seine eigenen Aussichtspunkte, die oft nur wenige Schritte von einander entfernt doch nach Stoff und Charakter ganz Abweichendes bieten. Aber es ist eine Verteilung, die bei dem Wert der einzelnen Schätze nicht als Zersplitterung empfunden wird.
Die zur Zurechtfindung verhältnismäßig geeignetste Umschau bietet der Hohenuracher Schlossberg (701 m), ein so recht im Mittelpunkt der Uracher Landschaft fast freistehender Kegel. Die Rundsicht vom Mauerumgang der großartigen Festungsruine umfaßt das Haupttal mit dem Gebirgsaustritt, das Elsachtal und besonders auch das Brühltal mit seinen beiden entzückenden Buchten, die der wunderbar regelmäßig geformte "Runde Berg" trennt. Nur der Einblick ins Seeburger Tal ist verwehrt; auch reicht über den Talrand hinaus der Blick wegen der Höhe der Randberge wenig. Aber auch in dieser Beschränkung ist das Rundbild noch so reich und wechselvoll, dass der Beschauer sich keiner Mängel bewußt wird. Wem es also nur um rasche Überblicke zu tun ist, der könnte sich mit der Besteigung von Hohenurach begnügen und hätte dann nur noch das Seeburger Tal besonders zu besuchen. Wer aber die Schwäbische Alb besucht, um ihre schönsten Landschaftsbilder zu genießen, dem bietet Hohenurach nicht alles und nicht einmal das vollkommenste. Wie wir schon draußen am Frontabfall der Alb oftmals die Erfahrung gemacht haben, dass die Randpunkte den Vorbergen an malerischer Wirkung der Aussicht überlegen sind, so ist's auch hier im Tal.
Vor allem verdient das Brühltal, dieses köstlichste Juwel Urachs, noch die Aufsuchung anderer Randpunkte, die auch den Anblick des seinen Eingang bewachenden Hohenuracher Schlossbergs selbst mit umfassen. Die Hochwiese am Uracher Wasserfall (614 m), die mit Recht jeder Fremde besucht, kann sich ja auch schon zu den Aussichtspunkten dieser Art rechnen. Aber noch herrlicher sind die Umblicke oben an den Felsrändern über dem Wasserfall. - Die großartigen Rutschenfelsen (750 m), die auf dem üblichen Weg von St.Johann nach Urach berührt werden, sind denn auch längst als einer der überraschendsten Aussichtspunkte der Alb bekannt. Und sie verdienen diesen Ruhm. Obgleich man hier nicht einmal das ganze Brühltal sieht - die Gütersteiner Talbucht fehlt, desgleichen der Wasserfall selbst - überwältigt doch der Blick in die jähe Tiefe und als Gegensatz dazu die Fernsicht über ein großes Stück der Albhochfläche, das von mehreren schönen Gipfeln - Neuffen, Teck, Breitenstein - überragt wird. - Aber noch erlesenere Standpunkte bieten die weniger bekannten Eppenzillfelsen (734 m), jene Reihe ansehnlicher Felsenköpfe, die über der Südwand der Wasserfallschlucht drohend hereinragen. Beherrscht vom Hohenuracher Schlossberg, der sich hier von seiner schlanksten und felsigsten Seite zeigt, liegt die anmutsvolle Talbucht vom Silberschweif des Wasserfalls an, der in der nahen Tiefe aus dunklem Laubdickicht hervorglitzert, bis zum zierlich gewundenen Austritt ins Ermstal offen da. Gerne treten wir auf mehrere der luftigen Felsenerker vor, um dasselbe Bild mit kleinen Abweichungen noch tiefer in das weihevoll gestimmte Gemüt aufzunehmen. Es ist ein Bild, in dem das Wilde mit dem Milden zu einer Harmonie des Schönen zusammengeflossen ist. Auch wer frisch von den großartigsten Alpengegenden kommt, kann sich dem Zauber des Orts nicht entziehen.
Neben den Eppenzill- und den Rutschenfelsen darf der Sonnenfels (777 m), der an der vordersten Ecke derselben Talseite liegt und durch einen schattigen Randweg mit den erstgenannten Punkten verbunden ist, als Glanzpunkt der Uracher Landschaft bezeichnet werden.
An ergreifender Eigenart ist er den Eppenzillfelsen ebenbürtig, an Großartigkeit der Fernsicht übertrifft er sie bei weitem. Zwar ist hier das Brühltal vollständig verdeckt, desgleichen das Seeburger Tal und das Elsachtal. Man sieht also von der Uracher Landschaft nur die Haupttalstrecke von Urach an abwärts. Und doch wie entzückend ist's, von diesem Außenpunkt hineinzublicken in die waldumkleidete Gebirgsspalte, in deren innerstem Winkel das schmucke Städtchen eingebettet liegt! Man versteht hier so recht, dass Urach das Waldparadies genannt wird. Freilich dieses Genusses wegen hätte man nicht nötig, so hoch zu steigen. Der kleine Vulkankegel Kalvenbühl (Kalvarienbühl, Kalverbühl, 509 m) am Sockel des Sonnenfelsen dicht über der Bahnstation Dettingen zeigt dasselbe Bild. Aber der Sonnenfels bietet noch mehr. Vermöge seiner vorgeschobenen und hohen Lage schweift der Blick auch hinaus zum Stirnrand der Alb und findet hier nicht minder Fesselndes. Der Albtrauf, der von vorn gesehen eine so mauerähnliche Ruhe zeigen kann, enthüllt hier eine geradezu ausschweifend bewegte Gliederung. die mehr oder weniger langgestreckten Vorgebirge zwischen Uracher und Neidlinger Tal (Neuffener Grat, Hohenneuffen, Bassgeige, Teck, Breitenstein) drängen sich alle hintereinander wetteifernd ins Unterland vor wie mächtige Fangarme eines Riesenkörpers, die begierig sind, die üppigen Gefilde draußen zu ergreifen, oder wie dunkle Wolkenfetzen, die ins bläuliche Flachland hereinhängen und die kleinen Metzinger Vulkankegel als helle Wölkchen vor sich herblasen; und besser als ein gelehrter Kurs der Geologie läßt uns ein Blick von dieser Felsenwarte die Entstehung der Schwäbischen Alb klar werden.
Gegenüber diesen Glanzpunkten des Westrandes wird der unscheinbarere Ostrand des Uracher Tals weniger beachtet. Und doch ist auch hier ein Berg von entschiedener Bedeutung. Es ist die Eichhalde (732 m), die auf ihrer stark halbstündigen, fast ebenen Randstrecke nicht nur Gelegenheit gibt, die merkwürdigen Uracher Höllenlöcher kennen zu lernen, sondern auch dreierlei ganz verschiedene Aussichten von hervorragender Schönheit bietet: von der vorderen (Dettinger) Ecke, die den Namen "Buckleter Kapf" führt, hinaus zum Austritt des Uracher Tals in die Ebene, wo zwischen Sonnenfels und Neuffener Grat der große Flecken Dettingen aufs anmutigste eingebettet liegt, dann von der Westkante, die mit den Höllenlöchern und "Nägelesfelsen" geziert ist, hinüber zur entgegengesetzten Talseite, deren wundervolle Durchbuchtung mit all ihren Schmuckstücken (Hohenurach, Runder Berg, Wasserfall, Güterstein, Rutschen- und Eppenzillfelsen) so vollständig wie nirgends vor dem Auge vorüberzieht, endlich von der hinteren (Uracher) Ecke, die den Namen Breitenstein (oder Egis) trägt, hinein ins köstliche Seeburger Tal, dessen erste, von Häusergruppen belebte Strecke hier zum erstenmal dem Blick sich öffnet. Ja auch ein Streifblick ins Elsachtal (namentlich das Zittelstatter Seitentälchen mit der Ulmer Steige) fehlt nicht. Und so ist die Eichhalde, wenn man ihrer verschiedenen Standpunkte zusammenrechnet, derjenige Aussichtsberg der Uracher Gegend, der am ehesten alle ihre wesentlichen Landschaftsstücke vereinigt. Wenn einmal der rastlose Albverein daran kommt, die verschiedenen Ausblicke besser freizulegen und das Wegenetz des Berges übersichtlicher zu gestalten, so gibt es keinen geeigneteren Morgenspaziergang von Urach als auf diese Höhe, wie auch auf dem Übergang zwischen Hohenneuffen und Urach der Umweg über die Eichhalde schon jetzt entschieden zu empfehlen ist.
Ein überaus ergiebiges Landschaftsstück des Uracher Gebiets ist auch das Seeburger Tal mit seinen Randhöhen, ergiebiger als die meisten Fremden ahnen, die nur die Talstraße kennen. Allerdings ist gerade in diesem Tal zur Abwechslung eine Wanderung in der Talsohle entschieden zu empfehlen, sei es auf der Straße oder drüben auf dem „Grünen Weg". Während nämlich die übrigen Waldtäler der Neckarseite so weite und offen Mulden haben, dass längere Talmärsche nicht nötig und nicht einmal lohnend sind, sondern Umblicke von einzelnen Randfelsen genügen, finden wir hier am Oberlauf der Erms eine so schroff eingegrabene Felsspalte mit so tief hinabreichenden Wäldern und Felsen, wie sie sonst nur auf der Donauseite der Alb vorkommen, und so ist auf dieser Talstrecke, die den schönsten Tälern der Donauseite ebenbürtig ist, eine Betrachtung von unten notwendig, um ein vollständiges Bild zu bekommen. Dennoch bestätigt sich auch hier die Erfahrung, dass die köstlichsten Landschaftsgenüsse auf den Höhen zu finden sind, und können wir es dem Naturfreund nicht ersparen, auch hier wieder berghinan zu steigen.
Die beiden gewaltigen Torpfeiler des oberen Ermstals, der Tiergartenberg (oder "die Hann", 707 m) zur Rechten und der Uracher Hochberg (717 m) zur Linken sind bei weitem die reichhaltigsten Aussichtspunkte am Rande des Seeburger Tals; ja sie sind eigentlich dessen einzige Aussichtspunkte im strengen Sinn. Denn während die weiter hinten gelegenen Punkte fast nur noch beschränkte Talansichten gewähren, reicht hier die Aussicht in die Ferne: sie umfaßt auch die untere Gebirgsstrecke des Ermstals mit einem Stück Flachland, und das Elsachtal mit einem Stück Alboberfläche. - Ermstalabwärts bietet der Tiergartenberg vom vorderen Hannerfelsen aus, der Hochberg von der "Michelskapel" aus prächtige, malerische Talansichten, beide nach Stoff ähnlich, nach Anordnung verschieden. Schlichter, aber zur Abwechslung wohltuend, ist der Elsachtalblick einerseits von den mittleren Hannerfelsen, andererseits von den vorderen Hochbergfelsen. Am entzückendsten aber sind die Blicke ermstalaufwärts auf die vordere Strecke des Seeburger Tals, wo inmitten der saftigen Wiesen und starren Felsen von Alters her allerhand Gewerbestätten ihr Wesen treiben. Die günstigsten Ausblicke nach dieser Seite finden wir einerseits auf dem letzten und größten der Hochbergfelsen, der von dern Urachern der "Kunstmühlefels" genannt wird, andererseits an dem hinteren, dem Rottentälchen zugewandten Felsenrand der Hann, der noch wenig beachtet und nicht einmal recht zugänglich gemacht ist. - Mindestens einen der beiden Bruderberge, die mit ihren Waldanlagen die beliebtesten Spaziergangsziele der Uracher sind, sollte auch der Fremde kennen lernen. Morgens möge er dem Hochberg, nachmittags dem Tiergartenberg den Vorzug geben. Aber auch wenn er beide nach einander besucht, wird er nicht das Gefühl der Wiederholung oder Übersättigung haben.
Von den weiter hinten im Seeburger Tal gelegenen Randhöhen, die Talausblick und stets zugleich auch sehenswerte Felspartien bieten, werden von Fremden eigentlich nur zwei mitunter aufgesucht, die Burgruinen Hohenwittlingen (691 m) und Baldeck. Beide Punkte sind schön und besuchenswert, bieten aber nicht das Vollkommenste an Talbildern. Nur in Kürze wollen wir dem Naturfreund einige Höhepunkte verraten, wo das Seeburger Tal seine volle Landschaftspracht enthüllt. Es sind auf der nordöstlichen (von Urach aus linken) Seite die Hardtbergfelsen, deren Aussicht aber dem Kunstmühlefels des benachbarten Hochbergs zu ähnlich ist, um einen besonderen Besuch zu erfordern; dann der mittlere unter den Hockenlohfelsen, die auf dem Höhenwaldweg zwischen Hohenwittlingen und Baldeck berührt werden und wo das Auge durch eine Reihe von Talverschiebungen bis hinaus zum Jusi und einem fernen Stück Unterland dringt; und endlich der Baldecker Burgenblick, ein Felsenbänkchen, das von der Ruine Baldeck auf reizendem, ebenem Waldpfad in 10 Minuten erreicht wird, auf das schon Klett in Jahrg. 1892 S.158 dieser Blätter aufmerksam gemacht hat. Der bei Abendbeleuchtung günstige Blick von hier aus auf den Talschluß mit dem Schlösschen Uhenfels gehört zum bezauberndsten, was die Schwäbische Alb bietet. - Noch unbekannter und doch nicht minder vorzüglich sind die Ausblicke der entgegengesetzten (südwestlichen) Seite des Seeburger Tals, alle bei Nachmittagsbeleuchtung zu besuchen. Hier gebührt der Preis den Schorrenfelsen (687 m) am Rande der anmutigen Sirchinger Heide, von der Stadt Urach aus kenntlich als letzte ansehnliche Felspartie der rechten Talseite, unterhalb deren die beiden Waldfurchen der alten und neuen Sirchinger Steige sich der Albkante nähern. Dieser hochherrliche Felsenpunkt, der noch nirgends in der Literatur erwähnt und bis jetzt weder durch einen Wegzeiger noch durch ein Bänkchen kenntlich gemacht ist, zeichnet sich neben einer schönen Ansicht von Urach namentlich durch seinen Einblick in die gegenüberliegende Wittlinger Schlucht aus, die mit Ruine und Dorf Wittlingen eine Gruppe von ungewöhnlichem Reiz bildet. Dann ist auf dieser Seite noch eines Besuchs würdig der reizende Blick auf den Talschluß von der Burggaststätte Blankenhorn, die an der engsten Stelle des Tals gegenüber von Baldeck ein ganz verborgenes Dasein führt, oder, so lange hier die Aussicht noch nicht recht freigelegt ist, von einem Bänkchen, das 5 Minuten vorher auf dem Waldweg vom Sirchinger Wasserfall nach Blankenhorn berührt wird und Sirchinger Seeburgblick genannt werden mag. Denn der Punkt bildet ein Gegenstück zum Baldecker Seeburgblick und wetteifert mit ihm an malerischem Reiz.
An dem überaus reizenden Schluß des Seeburger Tals ist nur noch ein Höhepunkt zu nennen und allen Fremden dringend zum Besuch zu empfehlen, zumal er vom Seeburger Löwenwirtshaus in 3 Minuten Steigens erreicht ist. Es ist der Schlösslesberg, d.h. nicht der Berg, auf dem das neuzeitliche Felsenschlösschen Uhenfels thront, sondern der Felsenhügel, der die ehemalige Festung Seeburg trug und wo jetzt nur noch eine bescheidene Holzhütte ins Tal schaut. So unbedeutend die Anhöhe ist, so überrascht sie doch durch einen so vollkommenen Rundblick in alle vier bei Seeburg zusammenlaufenden Felsentäler, dass die Ersteigung aller umliegenden höheren Randberge überflüssig ist.
Mancher kundige Leser wird es vielleicht dem Verfasser schon im Stillen zum Vorwurf gemacht haben, dass er sich in einem Aufsatz, der die bedeutendsten Aussichtspunkte der Alb hervorheben will, mit solchen Kleinigkeiten abgebe, wie es die kaum von den Einheimischen recht gekannten Felsenränder des Seeburger Tals sind, während er die eigentlichen Gipfel ganz vergesse, jene beherrschenden, die Albhochfläche noch weit überragenden Kuppen mit ihren unbegrenzten Fernsichten, die vom Albverein als die würdigsten Stellen für seine Aussichtstürme erkannt sind, als da sind Römerstein, Föhrenberg, Buchhalde, Sternberg. Gewiß ist es ein Verdienst des Albvereins, mit der landläufigen Ansicht aufgeräumt zu haben, als ob die Alboberfläche eine reizlose Öde sei. Aber wir müssen uns auch vor Übertreibung hüten. Ist auch im Vergleich mit jeher hergebrachten Anschauung von der "Rauhen Alb" die Oberfläche des Gebirgs überraschend schön und mannigfaltig, so bleibt sie doch einförmig und minderwertig im Vergleich mit den Rändern des Gebirgs; und wer es mit dem Ruf der Alb gut meint, der darf die Fremden, die das Schönste sehen wollen, nicht von den Rändern ins Innere ablocken. Die Neigung zur Überschätzung der Alboberfläche rührt vielleicht weniger von den Höhenbewohnern selbst her, die etwa der Anlockung wegen die Reize ihrer Gegend anpreisen, als von den Talbewohnern, gerade von denen, die in den schönsten Felsentälern sitzen. Gegen die Reize ihrer Umgebung durch die Gewohnheit abgestumpft streben sie am liebsten weg von den Abgründen jenen freien Flächen zu, wo Luft- und Lichtfülle und ferner Alpenhorizont sie umfängt. Aber der unbefangene Fremdling, dem die Landschaft oben und unten gleich neu ist, urteilt anders. Ihm dünkt's am schönsten draußen am Rande der Felsenabgründe, wo Formen- und Farbengegensätze von Oberland und Unterland auf einander stoßen. Die Albhochfläche ist ihm ganz lieb als Gegensatz zu den Tiefen, als Einzelstück im Bilde; für sich allein betrachtet aber erscheint sie ihm als unbedeutendes und - es ist nicht zu leugnen - rauhes Hügelland. - So ist der höchste Punkte der Uracher Gegend, die Buchhalde bei Dottingen (870 m), deren Rundschau ausschließlich die Albhochfläche umfaßt, vom landschaftlichen Standpunkt aus entschieden minderwertig, wenn nicht zufällig die fernen Alpen offen liegen. Ein etwas günstigeres Zeugnis gebührt dem noch ein wenig höheren Römerstein bei Gutenberg (884 m), der einige Einblicke ins Lenninger Tal hat, und dem leicht zu erreichenden Sternberg bei Offenhausen (843 m), in dessen nächster Umgebung die Alboberfläche etwas anmutiger als sonstwo ist. Die beste, eines Aussichtsturms würdigste von der genannten Kuppen der Albhochfläche - viele andere mögen ungenannt bleiben - ist der Föhrenberg bei Rietheim (857 m). Er kann eigentlich fast zu den Randpunkten gerechnet werden; denn er steht so nahe am Seeburger Tal, dass er Einblicke in dessen Grund hinab und einen Überblick über das ganze Wald- und Felsenrevier der Erms gewähren würde. Aber gerade hier fehlt bis jetzt ein Turm, der auch dem Seeburger Tal sehr zur Zierde dienen würde, und so sieht man derzeit wegen der dichten Bewaldung fast gar nichts.
Also eilen wir wieder vor zu den Felsenrändern, deren Glanzpartien auf dem Weiterweg gegen Westen immer noch nicht aufhören, ja sich noch zu steigern scheinen! - Die zwischen Erms und Echaz sich erhebende Sankt Johanner Platte, die dritte und größte unter den Gebirgshalbinseln der Zentralalb, ist mit ihren gewaltigen Felsenkanten und ihren gut gebahnten Randpfaden eines der ausgezeichnetsten Wandergebiete der Alb. Ihre Aussichtspunkte sind denjenigen der benachbarten Neuffener Platte an malerischer Schönheit ebenbürtig, an Großartigkeit überlegen. Der Reichtum an schönen Wäldern und Weiden macht selbst das Innere dieses Gebirgsstücks so anmutig, dass hier ausnahmsweise auch ein Binnenpunkt dem Besuch empfohlen werden kann, zumal da er nicht allzuweit vom Rand entfernt liegt. Es ist die Hohe Warte bei St.Johann (819 m), die höchste Erhebung des ganzen Gebirgsteils. Ihr Waldturm, an dem der Fußgänger von St.Johann zum Fohlenhof des Waldschattens wegen ohnedies vorbeigehen wird, gewährt einen so guten Rundblick über die Alboberfläche weit und breit, dass er die Aufsuchung aller übrigen Aussichtspunkte des Innern der Alb entbehrlich macht.
Aber schöner ist's doch auch hier an den Rändern. Der Ostrand gegen das Uracher Tal vom Föhrenberg bis zum Sonnenfelsen ist uns ja bereits bekannt. Aber auch die Stirnseite der St.Johanner Platte, die sich vom Sonnenfelsen bis zum Mädchenfelsen über 8 Stunden weit erstreckt, bietet wieder Neues und Bedeutendes. Sie scheidet sich wieder in zwei Hälften von ganz verschiedener Natur, den Glemser Felsenrand, der dem Ermsvorland zugekehrt ist, und die Eninger Berge, die sich nach der Echazseite wenden.
Von den einzelnen Punkten des Glemser Felsenrandes, der auch "Dettinger Rossberg" genannt wird, ist der Grüne Fels (802 m) von Alters her bekannt und beliebt und selbst im "Baedeker" als einer der reizendsten Aussichtspunkte der Alb gepriesen. Man sieht hier zwar viel Flachland, wenig Vorberge und wenig Felsen. Aber der nächste Talvordergrund, wo das Dörflein Glems mit seinem Kirschenwald in schöngerundeter Talbucht eingebettet liegt, ist hier ganz besonders lieblich. - Übrigens ist der Vorrang des Grünen Felsen vor seinen Nachbarn nur ein zufälliger, kein sachlich begründeter. Er rührt wohl nur daher, dass dieser Fels, an dem die alte Albsteige von Neuhausen a.d.Erms heraufführt, am frühesten zugänglich war. Unbefangen betrachtet sind ihm seine beiden Nachbarn Wolfsfels und Rossfels vorzuziehen. - Der westlich benachbarte, gleich hohe Wolfsfels, noch sehr wenig besucht und in sehr vernachlässigtem Zustand, ist eigentlich der schönste von allen Punkten dieses Felsenkranzes. Er bietet nicht nur seitwärts einen freien Überblick über die Albhochebene bis zum Lichtenstein, sondern auch das Vorderbild zeichnet sich durch noch kunstvollere Abrundung aus und seine Umrahmung ist noch durch die seltsamen Fünffingerfelsen geschmückt, die dem Grünen Felsen so nahe und dennoch dort unsichtbar sind. Auch hat der Wolfsfels nachmittags günstigere Beleuchtung als der Grüne Fels und beansprucht auf dem Weg von Reutlingen nach Urach einen kürzeren Umweg und von St.Johann einen kürzeren Abstecher als jener. Freilich ist er bis jetzt ohne Führer fast nicht zu finden. - Auch der östlich benachbarte, sehr ansehnliche Rossfels hat noch vollen Anteil an dem Einblick in die weltabgeschiedene Glemser Talbucht und dabei einen freieren Blick nach beiden Seiten, namentlich auf die Achalm, die sich dem Grünen Felsen nur halb versteckt zeigt. - Erst auf dem nächsten Punkt gegen Osten, dem Olgafelsen (786 m), ist die liebliche Talbucht dem Auge entrückt. Der dafür sich öffnende Blick nach Osten auf den Hohenneuffen und seine Umgebung ist zwar überraschend schön, wird aber von der schon oben beschriebenen Aussicht des nahen Sonnenfelsen übertroffen, der jedenfalls in diese Felsenrandwanderung eingezogen werden möge. Wem die ganze Rundwanderung nicht auf dem Wege liegt, der begnüge sich mit den beiden Endpunkten Wolfsfels und Sonnenfels, die alles Wesentliche zeigen.
Noch ein Punkt wäre hier zu rühmen, aber weniger für die Gegenwart als für die Zukunft. Es ist der Grasberg (778 m), jener massige Vorsprung, der dem Grünen Felsen und seinen Nachbarn die Aussicht nach der Reutlinger Gegend verdeckt. Er wäre vielleicht zum bedeutendsten Aussichtspunkt der St.Johanner Platte berufen. Denn er ist vermöge seiner freien, vorgeschobenen Lage der einzige Punkt ihrer Stirnseite, der deren ganzen Aussichtsstoff nach beiden Seiten - sowohl nach dem Erms- als nach dem Echazgebiet - umfaßt und überdies eine Oberflächenübersicht gewährt, die derjenigen der Hohen Warte nahe kommt. Dabei wäre der Blick nach Osten insofern einzig in seiner Art, als der mehrerwähnte schöne Einblick in die Glemser Talbucht hier noch durch eine Gesamtansicht des gegenüberliegenden Felsenrandes mit all seinen Zinnen vom Wolfsfelsen bis zur Sonnenfelsenecke geschmückt wäre, wie sie sonst an keinem Punkte möglich ist. Aber gerade dorthin ist die Ausschau durch den Randwald vollständig gehindert. Wenn einmal der Albverein einen Randpfad um die Glemser Waldbucht vom Grünen Felsen bis hieher gebaut und durch einen Aussichtsbau oder wenigstens Waldaushiebe die verborgenen Schätze der Aussicht freigelegt haben wird, so wird der Grasberg keine unbekannte Größe mehr sein.
Die mit dem Grasberg beginnende Westhälfte der St.Johanner Stirnrands, die wir unter dem Namen "Eninger Berge" zusammenfassen, gehört ihrem Charakter nach schon ganz zum Berggebiet des Echaztals, des letzten Gebirgstals der Zentralalb, das ihren würdigen Abschluß bildet. Es besteht aus zwei vollig verschiedenen Stücken: dem Quellgebiet oder Honauer Tal mit seiner ernsten Felsennatur, wo der Lichtenstein über jähen Abgründen thront, und dem Mündungsgebiet oder Reutlinger Tal mit seiner heiteren Pracht, wo die Echaz unter dem Szepter der Achalm ins Flachland heraustritt.
Achalm! Dich herrlichen Kegelberg (705 m) haben wir schon auf dem Herweg von der Teck an als eines der drei wirksamsten Schaustücke der Fernsichten der mittleren Alb kennen gelernt. Nun freuen wir uns, dich in deinem eigenen Herrscherbereich aufzusuchen! Die zwei kleineren Kegel, die wir hier in der Heimat der Achalm neben dem Hauptberge vorfinden - der spitzige Georgenberg und der niedliche Kugelberg -, erscheinen nur als Trabanten des Herrschers, die neidlos seinen Glanz erhöhen. Darum ist es auch begreiflich, wenn der Strom der Lustwanderer in dem Bewusstsein, dass die Achalm der Glanzpunkt der Gegend sei, sich vorzugsweise ihren steilen Gipfel zum mühsamen Ziel nimmt und hier den Gipfel der Naturschönheiten sucht. Wiederum die so häufige Verwechslung, die nur zu Enttäuschungen führt! Freilich ist bei der freien Lage des Berges die Rundschau von hervorragendem Umfang; sie umfaßt nicht nur viel Flachland, sondern es bleibt auch die Erwartung, eine reichhaltige Frontansicht des Gebirgs zu finden, nicht unerfüllt. Ja auch an schönen Einzelbildern fehlt es nicht, namentlich in der Richtung nach Metzingen und zum Georgenberg. Aber der ästhetisch befriedigende Gesamteindruckt bleibt aus. Der Albkette fehlt die eindrucksvolle Geschlossenheit, der künstlerische Aufbau, die wir sonst an ihren Stirnaussichten bewundern. Das wirkungsvollste Stück (der Achalmkegel selbst) ist aus dem Bild herausgenommen und statt dessn haben gerade die nächsten Berge, die das Mittelstück bilden sollen (die Strecke vom Grasberg bis zur Wanne), von hier aus gesehen etwas Langweiliges, Zerfahrenes, Trauriges und sind teilweise durch häßliche Rutschen entstellt. - Auch eine Ersteigung des vulkanischen Georgenbergs (Jörgenberg, 601 m) würde keine neuen oder günstigeren Eindrücke liefern.
Lassen wir also die heiße Erkletterung dieser kahlen Pyramiden! Es erwarten uns im Achalmgau so viele andere bequemer zu erreichende Landschaftsgenüsse! - Ja wo denn? auf jenen Nachbarhöhen, die soeben "langweilig", "zerfahren", "traurig" genannt wurden? - Ganz richtig, eben da! Setz dich einmal, geehrter Wanderer, in den Straßenbahnwagen nach Eningen und spaziere dann hinan zu irgend einer jener unansehnlichen, düsteren Waldhöhen zwischen Grasberg und Ursulaberg, und du wirst staunen, wie schon nach kurzem Steigen die tote Landschaft sich erfüllt mit Bewegung, Liebreiz, Formenpracht! Ja, diese "Eninger Berge", das sind de richtigen Standpunkte zur Betrachtung der Reutlinger Gegend. Hier entfalten die Kegelvorberge des Echazgebiets ihren wahren Glanz; hier auch fügen sich die volkreichen Wohnplätze der Gegend aufs glücklichste in das Gesamtgemälde und verleihen ihm eine Lebhaftigkeit, die von der Waldeinsamkeit des Vordergrunds wunderbar absticht.
Es ist nicht nötig, den ganzen Gebirgskamm vom Grasberg bis zum Ursulaberg mit all seinen zahlreichen Vorsprüngen abzustreifen; denn sie bieten alle im wesentlichen dasselbe Bild mit nur kleinen Verschiebungen. Jeder der zahlreichen Wege von Eningen auf die St.Johanner Höhe führt von selbst an einem dieser köstlichen Aussichtspunkte vorbei. So bietet die Neue Steige selbst schöne Aussichten, und der von ihr angeschnittene Steigfels (oder Renkenbergfels, 740 m), der als einziger Felsenkopf der Eninger Talbucht schon von weitem auffällt und mit leichter Mühe besser zugänglich gemacht werden könnte, zeigt von seinem halb geborstenen Scheitel alle Schaustücke des Achalmgaus in einer ausnehmend glücklichen Gruppierung und Umrahmung. Die Alte Steige gewährt von dem Sattel zwischen Gutenberg und Grasberg reizende Doppelaussicht nach der Reutlinger und Metzinger Gegend und führt oben, wo das älteste "Hanner Steigle" die Hochfläche erreicht, zu zwei noch bedeutenderen Höhepunkten, links zu dem schon beschriebenen Grasberg, rechts zu dem Waldvorsprung Obersohlt (oder Hannersteigfels, 768 m) mit gleichfalls auserlesen schönem, aber derzeit völlig verwachsenen Überblick über den Achalmgau. Eine dritte Möglichkeit ist der Fußweg über den Gutenberg, der von der Ecke dieser weit vorgeschobenen Bergzunge (702 m) einen besonders freien Überblick der Gegend und schon auf dem Weg dahin von dem (mit kleinem Abstecher zu ersteigenden) Basalttuffhügel Rangenbergle (588 m) ein Rundbild und Albfrontbild bietet, das ich der Achalm vom Schönheitsstandpunkt aus vorziehe. Endlich führt auch der Gaisbergweg, ein vom Albverein trefflich angelegter Fußpfad von Eningen nach St.Johann, zu reizenden Aussichtspunkten gleicher Art. Insbesondere gewährt die gut angelegte Aussichtsplatte auf der anmutigen Höhe des mittleren Gaisbergs (741 m) eine der angenehmsten Gelegenheiten zur Bewunderung des bereits bekannten Prachtbilds, während auf dem Weiterweg die Eninger Weide (717 m) mit ihren rauschenden Weidebuchen den Genuss durch eine umfassende Rundsicht in die weitesten Fernen vervollständigt.
Aber auch wer von Reutlingen aus nicht nach Urach, sondern nach dem Lichtenstein strebt, hat günstige Gelegenheit, einige Punkte, die einen freien Überblick über das vordere Echaztal geben, in den Weg einzubeziehen. Ja hier dicht am Eingang des Haupttals findet sich sogar der vorzüglichste dieser Aussichtsstandorte, der eigentlich den Besuch aller vorgenannten Eninger Berge überflüssig macht, der Ursulaberg (oder Urselberg, 689 m) bei Pfullingen. - Ein hässlicher Geselle ist dieser Urselberg mit seinen angenagten Wänden, und so breitspurig hat er sich zwischen die Achalm- und Lichtensteinlandschaft als Scheidewand hineingesetzt, dass ihn schon mancher weggewünscht haben wird. Was machen wir also, um mit ihm fertig zu werden? Wir besteigen ihn selbst! Sobald wir oben sind, dann wird's herrlich; die Scheidewand ist gefallen! - Auch dem Bequemsten ist diese Bergfahrt ermöglicht dank der von dem Papierfabrikaten Ernst Laiblin in Pfullingen 1887 gebauten und nach seiner Gattin genannten Elisenstraße; und man braucht gar nicht von dieser Straße abzuweichen, um die beiden schönsten Ausblicke zu finden. Der eine befindet sich am nördlichsten Wendepunkt der Straße auf der vorderen, gegen Reutlingen gekehrten Nase des Bergs. Die Achalm in entzückend schlankem Umriss, wie sonst an keinem Punkt, als Gegenstück der noch spitzigere Georgenberg, in der Mitte Reutlingen, dessen Lage sonst nirgends so schön zur Geltung kommt, auf den Flanken Eningen und Pfullingen mit ihren staffelartig aufgebauten Randbergen: auch wer alle diese Punkte kennt, steht gefesselt, als sähe er sie zum erstenmal; so anmutsvoll sind sie hier zu einem großzügigen Gemälde verwoben! - Vollständig eben führt sodann die Elisenstraße in einem halben Stündchen zur Südecke des Urselbergs, wo sich bei zwei Ruhebänken "auf dem Trieb" ein neues Bild auftut, noch überraschender und einziger in seiner Art: das Honauer Tal mit dem Lichtenstein und all seinen Felsen in einerVollständigkeit, wie sie sonst kein Standpunkt ermöglicht. Es ist gewissermaßen ein Einblick von außen her, der wieder ganz andere Eindrücke hervorruft als die nachher zu besuchenden Standpunkte am Talschluß und jedenfalls zur Übersicht geeigneter ist. So läßt sich der Ursulaberg die so gegensätzlichen zwei Hälften des Echaztals in einem Zug genießen, beide in vollkommenster Darbietung. - Zum Urselgebiet gehört auch noch der nahe Übersberger Hof mit dem Mädchenfelsen (774 m), Endpunkt der Elisenstraße und beliebter Übergangs- und Erfrischungsort der Lichtensteinwanderer. Erhebend ist wiederum der Ausblick von der gewaltigen Felsenplattform nach dem Achalmgau und dem Schlösschen Lichtenstein, wenn er auch trotz der höheren Lage den Ursulabergaussichten an Umfang und Schönheit nicht gleichkommt.
Etwas Ähnliches und beinahe Gleichwertiges wie der Ursulaberg bietet aber auch die andere Seite des Echaztals, wo der Schönberg (793 m) mit der vorgelagerten Wanne (694 m) und dem dahinter gelagerten Wackerstein (823 m) den Austritt der Echaz aus dem Gebirge bewachen hilft. Der Prachtblick nach der Nordseite sowohl von der Wanne als vom Schönberg hat viel Ähnlichkeit mit dem Nordblick des Urselbergs; nur sollte für Freilegung der Rundblicke und Zugänge durch die oft feuchten Hochwiesen besser gesorgt werden. Dazu kommt vom hinteren der beiden Westfelsen des Schönbergs ein Blick auf den Lichtenstein, der dem Südblick des Urselbergs entspricht und (namentlich bei Abendbeleuchtung) an bezauberndem Reiz mit ihm wetteifert. Was an Talansicht fehlt, wird ersetzt durch eigentümliche Berggruppierung: in der Ferne der Lichtenstein, mit Gießstein und Kleinengstingen eine eng gedrängte Gruppe bildend, in der Nähe der Wackerstein machtvoll aufragend. - Wie der Ursulaberg den Übersberg, so hat der Schönberg den Wackerstein im Gefolge, über den dasselbe zu sagen ist wie dort: der Fels in sich ist höchst sehenswert, die Aussicht aber steht trotz der überlegenen Höhe den vorgelagerten Punkten nach.
Auf die Frage, ob demnach Urselberg - Übersberg oder Schönberg - Wackerstein vorzuziehen seien, ist zu antworten: Besuche beide Talseiten, den Urselberg morgens auf dem Hinweg zum Lichtenstein, den Schönberg abends auf dem Rückweg. Denn rüstige Wanderer können das ganze Echaztal an einem Tag umwandern. Wer wählen muss, möge bei gedrängter Zeit und bei Nachmittagsbeleuchtung der westlichen Talseite als der kürzeren, sonst der östlichen als der reichhaltigeren den Vorzug geben.
Das Honauer Tal oder Lichtensteingebiet, an dessen Pforten wir hiemit gelangt sind, bildet eine ganz für sich abgeschlossene Landschaft. Nur Achalm und Georgenberg schauen da oder dort halbversteckt durch die Talspalte herein; sonst nimmt keins der Schaustücke der Nachbargebiete am Schmucke der Gegend teil: sie schmückt sich ganz aus eigener Kraft. Aber so mächtig ist diese Kraft, dass die Reiseschriftsteller mit großer Übereinstimmung gerade diese Landschaft für die schönste der Schwäbischen Alb erklären, sei es dass sie dies mit ausdrücklichen Worten sagen oder mittelbar durch den Grad ihrer Lobspenden zeigen. Gustav Schwab spricht von dem "wundervollen Tal, das zu den größten Schönheiten der Alb gehört und von dem man zuversichtlich behaupten kann, dass das verwöhnte Auge Wohlgefallen an ihm finden wird. So viel verschiedene Lichter und Töne, so mannigfaltige Charaktere der Natur, Schönheit, Erhabenheit und Anmut gepaart, und doch alles zusammenstimmend; keine langweilige Partie, kein gedehnter, gezogener, unmalerischer Fleck; wirklich hier wagt es der schüchterne Wegweiser, aus vollem Munde zu preisen." Nach Nägele (Albwanderungen) hat der Umblick vom Lichtenstein "eine bezaubernde Mannigfaltigkeit, wie man sie von der Alb vielleicht nicht erwartet." Und auch Wais, der neueste Albführer, sagt: "Wenn man bei der Vielgestaltigkeit unserer Alb überhaupt von einem schönsten Teil reden kann, so gebührt wohl dem Lichtensteingau die Palme". - Diesen Urteilen kann sich der Verfasser nur anschließen. Auch er glaubte jedesmal, wenn er den Lichtensteingau besucht hat, die Stimme in sich zu hören: "Hier ist's am schönsten". Freilich gab's auch manche anderen Punkte am Neckartrauf der Alb, ja auch einige auf der Donauseite, wo dieselbe Stimme in ihm sprach. Und man darf das Lob nicht dahin übertreiben, als ob kein anderer Punkt der Alb sich an Schönheit dem Lichtenstein nähern könnte. Aber das wird jeder unbefangene Beurteiler zugeben müssen: Diese Landschaft würde schon ohne den Lichtenstein zum Schönsten der Alb gehören. Durch das Felsenschloss aber, dieses in seiner Einfachheit so genial erdachte Kunstwerk, das der Landschaft den glücklichsten Mittelpunkt verleiht, ist dem Naturgenuss ein Kunstgenuss beigesellt, der wohl geeignet ist, gerade hier das ästhetische Lustgefühl in die höchsten Schwingungen zu versetzen.
Eben weil der architektonische Genuss wesentlich ist, genügt es nicht, den Lichtenstein von entfernteren Höhenpunkten aus, wie dem obengenannten Ursulaberg oder Schönberg, zu betrachten: man muss ihm möglichst nahe kommen. Auch der Anblick vom Tal, der das Bauwerk in unvorteilhafter Verkürzung zeigt, genügt nicht: man muss zu ihm emporsteigen. Wem es vergönnt ist, bis zu den Zinnen des Turms emporzudringen, der findet dort oben zugleich eine der umfassendsten Rundsichten der Alb. Denn der Lichtensteinturm ist mit seinen 846 m einer der höchsten Punkte der mittleren Alb. Aber an landschaftlicher Schönheit wird er noch übertroffen von den Felsenrandpunkten in der nächsten Umgebung des Schlosses, deren Gesichtskreis sich auf die schönere Hälfte des Rundbilds beschränkt und durch die Ansicht des Schlosses selbst geschmückt ist. Außer Punkten im inneren Schlossgarten und beim Wirtshaus sind hier zu erwähnen: nordwärts die neuerdings zugänglich gemachte Felsenrandstrecke über Brunnenstein (816 m) und Linsenbühl (817 m) zum Gießstein (768 m), die auf dem Weg zwischen Lichtenstein und Nebelhöhle keinesfalls unbesucht bleiben sollte, namentlich aber südwärts der Randweg über den "alten Lichtenstein" - einen Glanzpunkt! - und um den Talschluß herum am Dobelkopf und der Schanze vorbei zum Bahnhof Lichtenstein (704 m), ein Weg, der als Zugang zum Lichtenstein den Aufstiegen von Oberhausen oder Honau entschieden vorzuziehen ist.
Aber noch ist die Steigerung nicht zu Ende: die auserlesensten Standpunkte kommen erst drüben am entgegengesetzten Felsenrand des immer noch nicht genügsam beachteten Traifelbergs (795 m), über dessen prächtige Felsen ein bequemer Fußpfad vom Zahnradbahnhof Lichtenstein bis zum Burgstein bei Holzelfingen führt. Während seit dem Bahnbau die dem Lichtenstein gegenüberliegende Talwand etwas Unruhiges, Zerschnittenes hat, haben wir hier als Schaugegenstand die viel ansehnlichere, üppig bewaldete Talwand vor uns, über der die Burg Lichtenstein selbst thront. Dabei ist diese, obgleich die ganze Talkluft dazwischenliegt, noch nahe genug, um architektonisch zu wirken. Und so wird ein unbefangener Vergleich zu dem Ergebnis führen, dass die Landschaft sich von hier aus noch schöner ausnimmt als drüben. So ist es auch bemerkenswert, dass Wais sich zu seiner schon angeführten Lobpreisung des schönsten Teils der Alb nicht bei der Beschreibung des Lichtensteins selbst, sondern bei der Betrachtung der Aussicht von den Traifelbergfelsen gedrungen fühlte. Kein Fußgänger sollte es versäumen, einen Vormittag zu der zweieinhalbstündigen Randstrecke von der Ruine Stahleck, die vom Übersberger Hof oder vom Bahnhof Unterhausen in je einer Stunde erreicht wird, über Holzelfingen und den Traifelbergrand zum Lichtenstein zu verwenden. Auf der Weghälfte zwischen Stahleck und Holzelfingen findet er noch einmal ganz Ausgezeichnetes in den wildromantischen, hochmalerischen Talblicken des Greifensteiner Felsenrandes (756 m) zwischen den Rauhbollfelsen bei Holzelfingen und dem Zellereckfelsen am waldstillen Zellertal. Wer hier einmal gewandelt ist, der weiß, dass die Schwäbische Alb zu den schönsten Gegenden Deutschlands gehört. Und wenn wir uns erinnern, dass wir hier wieder an der Kante der St.-Johann-Platte wandern, die uns schon drüben auf der Uracher Seite und vorn an den Flachlandrändern so viel Vorzüglichkeit geliefert hat, so können wir die alte Nebenbuhlerschaft des Erms- und des Echaztals dadurch in Versöhnung auflösen, dass wir dieser großartigen Berghalbinsel, die von beiden Tälern das Schönste zeigt, als Einheit betrachtet den ersten Preis im Wettbewerb der Albgebirgsstücke zuerkennen. Wenn einmal der Albverein die Lücken der teilweise schon recht guten Randwege ergänzt und vielleicht auch an einem passenden Punkt hier oben das erste Höhenluftkurhaus der Alb zur Welt gebracht haben wird, dann wird der große, fast steigungslose Felsenrundgang um die St.Johanner Platte von der Station Lichtenstein an bis zu den Uracher Hannerfelsen oder Schorrenfelsen (von wo bequeme Fahrsteigen ins Tal führen) eine Anziehungskraft auf den Fremdenverkehr ausüben, von der die schüchterne Alb sich heute noch nichts träumen läßt.
Zum Wanderübergang vom Lichtenstein nach der westlich benachbarten Steinlachalb lockt am meisten die langgestreckte Bergzunge zwischen Pfullingen und Gönningen, die am ehesten unter dem Gesamtnamen Pfullinger Berg zusammengefaßt werden kann und deren Anfang von der Nebelhöhle oder vom Wackerstein in je einer Viertelstunde erreicht wird. Mit ihrem Doppelgesicht gegen das Echaz- und das Wiesaztal hätte sie das Rüstzeug zu einer der aussichtsreichsten Rand- oder Gratwanderungen der Alb und würde Gelegenheit geben, die Prachtlandschaft des vorderen Echaztals zum Abschied noch einmal in vollen Zügen zu genießen. Aber gerade von den Aussichten nach dieser Seite, für die unter anderem der hohe Gielsberg (833 m) und der vorgeschobene Stöffelberg (732 m) gute Standpunkte abgäben, ist zur Zeit kein einziger freigelegt. Die einzige landschaftliche Ausbeute des langen Höhenwegs sind bis jetzt zwei Ausblicke nach der bescheideneren Wiesazseite vom Barmkopf und von dem schon genannten Stöffelberg. Die Wanderer zum Rossberg werden daher einstweilen lieber die neue Bahn Reutlingen - Gönningen benützen, die zwischen Ohmenhausen und Bronnweiler Gelegenheit gibt, auf bequemem Spaziergang den mit der "Alten Burg" gekrönten Kugelberg (594 m) zu besuchen. Er ist der kleinste unter den drei Kegeln der Reutlinger Umgegend, aber der lohnendste. Seine Frontansicht der Alb steht an Umfang und Anmut derjenigen des Floriansbergs wenig nach. Mit ihm teilt er auch den seltenen Vorzug, dass der - hier schon ziemlich nahe - Hohenzollern aus dem Versteck hinter dem Dreifürstenstein hervorgetreten ist und die Prachtansicht der mittleren Alb bereichert. So bildet der Kugelberg - zugleich der westlichste Eckpunkt des Vulkangebiets der Zentralalb - einen nicht minder würdigen Abschluß dieser merkwürdigen Landschaft, wie der äußerste Feuerberg am jenseitigen Ende - der Aichelberg - ihr passendster Ausgangspunkt war.