Die schönsten Aussichtspunkte der Schwäbischen Alb

Eine vergleichende Übersicht von Otto Häcker 

8. Heuberg

Quelle: Blätter des Schwäbischen Albvereins, XVIII. Jahrgang 1906, Nr.3
(10.Fortsetzung)

Der Heuberg, das Gebirgsstück zwischen Schlichem und Nusplinger Beera (Bära) einerseits, Prim und Faulenbach andererseits, ist die letzte der großen, zusammenhängengenden Hochplatten der Alb und zugleich die höchste. Aber diese letztere Eigenschaft äußert sich in landschaftlicher Hinsicht eher ungünstig. Denn der Höhenunterschied rührt nicht daher, dass die Berggipfel vom Fuß an höher sind, sondern dass der Fuß der Berge höher liegt. Und dies hat den Nachteil, dass das Vorland in eine rauhere Pflanzenzone gerückt ist, die seinen Charakter demjenigen der Gipfel nähert. Damit entfällt eine der Hauptschönheiten der mittleren Alb, wo die üppigen Obstwälder und die zarten Rebengärten der Talgehänge von dem wetterharten Pflanzenschlag der Felsenhöhen so wirksam abstechen. Und da auch die Gestaltung und Gliederung des Gebirgs an Lebendigkeit der mittleren Alb nicht gleichkommt, so können wir den Besuch dieser Gegend dem Fremden nicht bedingungslos empfehlen. Freilich der richtige Schwabe und Albvereinsgenosse - denn welcher richtige Schwabe ist nicht zugleich Albvereinsgenosse? - wird unbedingt den höchsten Berg seiner Alb kennen lernen wollen, und er wird von dieser Bergfahrt auch sicher nicht unbefriedigt zurückkehren. Wenn aber solche vaterländischen Gefühle nicht maßgebend sind, der wird, wenn er auf einen lohnenden Reiseplan bedacht sein will, sich entscheiden müssen, ob er den Heuberg entweder ganz oder gar nicht besuchen will. So lange nämlich die Albgürtelbahn von Balingen nach Spaichingen noch nicht gebaut ist, erfordert der Besuch einzelner Berge dieses Gebietes (abgesehen vom Dreifaltigkeitsberg) einen Aufwand an Vorlandmärschen, der zum Naturgenuss nicht im richtigen Verhältnis steht. Nimmt man dagegen den ganzen Trauf zwischen Lochen und Dreifaltigkeitsberg in den Reiseplan auf, so vervielfältigt sich der Genuss. Denn man gewinnt so eine Höhenwanderlinie, die sich anderthalb Tagreisen in den luftigen Schichten von 900 - 1000 m großenteils auf angenehmen Matten und fast ununterbrochen unter großartigen Fernblicken hinzieht. Wer mit Kraft und Zeit haushalten muss, möge sich freilich zuvor die Frage vorlegen, ob er nicht diesem Dauermarsch andere noch lohnendere Naturgenüsse zum Opfer bringen müsste, die er mit der Bahn (über Balingen - Inzigkofen) leichter erreichen kann. Denn - das wollen wir ihm gleich verraten - wir sind noch nicht am Ende mit den Glanzpartien der Alb: im Gegenteil drüben auf der Donauseite fängt's wieder von vorn an mit Naturschönheiten ersten Rangs, um die es schade wäre, wenn man ihnen schon so nahe ist.

Zu den Hauptpunkten des Heubergs rechnen wir vor allem den Plettenberg bei Schömberg, die großartigste Berginsel der Alb und einen der beiden Albvorberge, die sich über 1000 m hoch erheben. Geographisch gehört er zwar noch zu den schon behandelten Balinger Bergen als der westlichste und größte von den drei Vorbergen des Heubergs, die man gemeinhin die Lochenberge nennt. Aber wer die Lochenberge als Ausflug von der Balinger Bahn aus abmacht, wird diesen zu weit abgelegenen und zu wenig Neues bietenden Punkt besser weglassen. Auf dem Marsch vom Eyachtal zum oberen Donautal dagegen ist der Berg nicht nur ein geeigneter Übergangspunkt, sondern einer der drei landschaftlichen Glanzpunkte.

Denn der Übergang vom Lochenhorn über Tieringen und den "Thann" (d.h. den hinteren Schlichemtalrand) zum Oberhohenberg ist zwar ebener und bequemer, aber landschaftlich weniger ergiebig, wenn auch der Ortenberg bei Deilingen (1006 m) einen aussichtsreichen Schlusspunkt bildet.

Freilich wer rein mit dem ästhetischen Maßstab misst, wird hier die heiteren, anmutsvollen Bilder der mittleren Alb vermissen. Läßt man aber mehr die Natur in ihrer Gesamtstimmung auf sich wirken, so kann die wuchtige Größe und Klarheit dieser Berggestalt - einer glatt abgelösten Scholle der Albhochebene -, und die unermeßliche Rundschau von den jäh abstürzenden Kanten der luftigen Weidefläche ihren gewaltigen, nachhaltigen Eindruck auf das Gemüt nicht verfehlen.

Ein ähnliches, in verschiedenen Beziehungen noch etwas günstigeres Zeugnis gebührt dem höchsten Vorberg der Alb, dem Wehinger Hochberg (Mittelgipfel 1008 m) mit seinen beiden scharf ausgeprägten Eckgipfeln Oberhohenberg bei Deilingen (1010 m) und Lemberg bei Gosheim (1014 m, Turmhöhe 1045 m). Die leicht zu ersteigende Berggruppe hat gefälligere Rundformen und anmutigere Waldpartien als der Plettenberg. Die Aussicht auf die Bergumgebung mag etwa gleichwertig sein: bietet dort der Albtrauf rechter Hand gegen die Zolleralb mehr, so entschädigt hier links der erstmalige Anblick der Baaralb mit dem feingeformten Hohenkarpfen. Seit aber auf dem Lemberg der Standpunkt des Beschauers so erhöht worden ist, dass er den Plettenberg um 42 m überragt, hat die Rundschau über die zwei verschiedenen Landschaftsstücke - das Vorland mit dem Schwarzwaldhintergrund und die Hochebene mit dem Alpenhintergrund - eine Übersichtlichkeit gewonnen, die den Lemberg nunmehr bei weitem zum Hauptpunkt der Gegend stempelt und an Großartigkeit und Wert der Aussicht dem Gönninger Roßberg gleichstellt. Das Tiefland mit der Stadt Rottweil als hübschem Mittelpunkt liegt sogar noch offener und unmittelbarer vor Augen als dort, und das Bild der Hochebene ist häufiger durch die schon ziemlich nahe gerückten Alpen geschmückt.

Der dritte Hauptpunkt des Heubergs, der Dreifaltigkeitsberg bei Spaichingen (983 m), ist vermöge seiner südlichen Lage der günstigste Alpenaussichtspunkt am Neckartrauf der Alb, um so mehr, als sein Unterkunftshaus Gelegenheit gibt, den Abend und Morgen auf der Höhe zuzubringen. Es ist etwas Merkwürdiges um diese Alpenfernsicht. Wer die Luft durchlässig trifft, dem offenbart sich die Hochgebirgskette in so majestätischer Größe und Herrlichkeit, dass sein Auge mit magnetischer Gewalt dorthin gebannt wird und kaum etwas anderes von der Gegend ansehen mag. Kommt ein zweiter bei weniger günstiger Luft, so sieht er da, wo die Alpen standen, nichts als blauen Himmel und möchte darauf schwören, dass jener Glückliche, der dort hinter dem Horizont ein ganzes Gebirge mit Tausenden von Gipfeln gesehen haben will, ihn zum Besten habe oder das Opfer einer Täuschung geworden sei. In den Sommermonaten kann der Reisende immerhin auch an diesem günstigen Punkt zehn gegen eins wetten, dass er nicht zu den Glücklichen gehören wird. Und dann hat die Rundschau vom Dreifaltigkeitsberg mit dem kahlen Spaichinger Tal als Vordergrund wenig Anmutiges. Wir können deshalb dem Fremden den Besuch dieser Höhe nur dann raten, wenn sie ihm bei Ausführung des oben empfohlenen Längsmarsches ohnehin auf dem Weg liegt. Denn der Herweg über den Rasenteppich der aussichtsreichen Heide am Klippeneck (981 m) vorbei ist eigentlich schöner als das Ziel selbst. Andernfalls möge sich der Reisende die Alpen lieber von den Höhen des benachbarten Hegaus ansehen, z.B. von dem schon so nahen Witthoh bei Tuttlingen, wo die Hoffnung auf Alpenfernsicht noch größer ist und für ihr Fehlschlagen eine Fülle anderer Landschaftsgenüsse Entschädigung verheißt.

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