Ein Verein, der sich die landschaftliche Erschließung eines Gebirgs zum Ziel setzt, wird seine erste Aufgabe darin sehen, die besuchenswerten Punkte ausfindig, zugänglich und bekannt zu machen. Wie es bei einem Gebirge von der Ausdehnung der Schwäbischen Alb nicht anders zu erwarten war, hat diese vom Schwäbischen Albverein mit begeistertem Fleiß unternommene Arbeit eine überreiche Ausbeute geliefert. Während früher nur einige wenigen Punkte der Schwäbischen Alb - meist geschichtlich besonders bedeutsame - als lohnende Reiseziele sich allgemeiner Kenntnis und beträchtlicheren Fremdenbesuchs erfreuten, haben nun die Veröffentlichungen des Schwäbischen Albvereins eine fast verwirrende Fülle von Namen in die Welt hinausgetragen; und das verheißungsvolle Zeichen "A.P." (Aussichtspunkt) ziert die Albvereinskarten in einer Menge, die den wanderlustigen Neuling ratlos machen kann. Da tritt nun eine weitere Arbeit in ihr Recht, die Sichtung des gesammelten Stoffs.
Freilich der Einheimische hat weniger das Bedürfnis zu sichten und zu vergleichen. Für ihn hat jeder Fleck heimatlicher Erde einen persönlichen, nicht messbaren Wert. Aber es ist doch nicht zu bestreiten, dass es bevorzugte Gegenden und Punkte gibt, die dem Beschauer mehr und Eigenartigeres bieten als andere; und der Fremde, der zu einem flüchtigen Besuch kommt, will wissen, wo es "am schönsten" ist.
Aber kann man diese Frage auch befriedigend beantworten? Ist die Beurteilung landschaftlicher Schönheit nicht ganz eine Frage des Einzelgeschmacks? Freilich, die verschiedene Naturanlage des Beschauers, der Grad der Erwartung, der Frische oder der Sättigung, Wetter, Tageszeit und Jahreszeit bewirken oft sehr bedeutende Abweichungen in der Wertschätzung einer Landschaft. Aber es gibt doch feste Wertmesser, die das jedem Menschen mehr oder weniger eingeborene Schönheitsgefühl leiten und die es bis zu einem gewissen Grad ermöglichen, für jeden Gegenstand ästhetischer Betrachtung einen Schönheitswert festzustellen.
Es könnte als das Sicherste erscheinen, als Wertmesser sich des durchschnittlichen Urteils der Menge zu bedienen, und denjenigen Punkt für den schönsten zu erklären, der den meisten gefällt. Aber wenn man sich hiebei an das bewusste Urteil der Menge halten würde, so käme man zu sehr zweifelhaften Ergebnissen. Die große Menge ist zu einer bewussten ästhetischen Kritik nicht genügend geschult; sie lässt sich durch die oft auf Zufälligkeiten beruhende Reklame leiten - und weniger bei den unwillkürlichen Empfindungen als beim Denken und Urteilen. Wenn der Wanderer an einem abseits gefundenen Waldausblick in schönheitstrunkenem Entzücken gefesselt steht und wenn dann vielleicht die hochgepriesene Aussicht eines vielberühmten Berggipfels seine Seele kalt lässt, so wird dies den meisten gar nicht zum Bewusstsein kommen. Wenn sie nach den schönsten Punkten ihrer Reise gefragt werden, so werden sie eben pflichtschuldig die schöne Aussicht des berühmten Bergs hervorheben und loben, und an den Genuss, den ihnen jenes ungenannte Fleckchen Erde geboten hat, vielleicht gar nicht mehr denken.
Andererseits wäre es freilich ein verkehrtes Bemühen, zuvor nach theoretischen Lehrsätzen über landschaftliche Ästhetik zu suchen und darnach im Einzelfall sein Urteil auszuüben. Es gibt zwar zweifellos solche Schönheitsregeln; dem aufmerksamen Naturbeobachter werden von selbst solche aufstoßen, wie auch wir bei unserer nachherigen Einzelbetrachtung gelegentlich auf solche Erfahrungsregeln zu sprechen kommen werden. Aber wissenschaftlich ist dieses Gebiet noch sehr wenig gepflegt, und eine solche Wissenschaft ist eigentlich auch überflüssig; denn man kann diese Regeln eben nur durch praktische Erfahrung finden und ihrer Richtigkeit nur durch Anwendung des angeborenen Schönheitsgefühls auf den Einzelfall prüfen. Die richtige Arbeitsmethode zur Auffindung und Beurteilung landschaftlicher Schönheit ist ein offenes Auge und eine gewisse praktische Übung, die darin besteht, dass man gewohnheitsmäßig die gewonnenen Eindrücke sich zum Bewusstsein zu bringen sucht und mit Eindrücken von ähnlichen Gegenständen und früheren Eindrücken vom gleichen Gegenstand vergleicht.
Es hat einen verlockenden Reiz, von diesem Standpunkt aus, gestützt auf den eigenen Geschmack und unbeirrt durch hergebrachte Urteile, eine vergleichende Rundschau über die heimischen Berge zu halten. Es wird dabei mancher altbekannte und bewährte Punkt auch in dem neuen Wettbewerb seinen Vorzugsplatz behaupten, aber auch mancher noch wenig beachtete und besuchte Punkt in die Reihe der Ersten hinaufrücken und manch berühmteren Nachbarn aus seiner Vorherrschaft verdrängen.
Eine solche kritische Betrachtung wird natürlich immer etwas Subjektives haben. Gerade der kritisch Veranlagte wird leicht geneigt sein, Schöpfungen der Kunst oder Natur, die er größerer Anerkennung für wert hält, mit zu großer Begeisterung zu preisen, und Gegenstände, deren Ruhm er für nicht hinreichend verdient hält, allzuscharf herabzusetzen. Aber diese Zeilen wollen auch nur Anregungen, keine Entscheidungen geben. Wie die Sammlung des Stoffs, so soll auch dessen Sichtung nicht Arbeit eines einzelnen, sondern aller sein, die mitarbeiten wollen.