Nach der ununterbrochenen Folge von Glanzpunkten, die uns das Mittelstück der Neckarseite der Schwäbischen Alb vom Neidlinger Tal oder eigentlich schon vom Remstal an in verschwenderischer Fülle geboten hat, tritt mit der Steinlachalb, die den Übergang von der heiteren Anmut der mittleren Alb zu dem düsteren Ernst der Südwestalb bildet, eine gewisse Pause der Ermattung ein. Zwar, wie ein Blick auf die Karte zeigt, ist der Gebirgsrand auch hier stark gegliedert, auch sind die Bergwände allenthalben lückenlos bewaldet. Aber die Felsen fehlen, und die Abdachung ist bei fast allen Bergen eine so eintönige, schwermütige, dass ihre Gestalt schon zum Vergleich mit einem grossen Sarglager herausgefordert hat. Von hervorragender Bedeutung sind allerdings die beiderseitigen Flanken des Gebirgsstücks, einerseits die Echaztalkante vom Lichtenstein bis zum Kugelberg, andererseits die Killertalkante vom Starzelursprung bis zum Dreifürstenstein. Aber sie verdanken ihren Wert den Nachbarlandschaften und gehören ihrem Charakter nach selbst diesen an, weshalb ihnen auch in unserer Abhandlung dort ihre Stelle angewiesen ist.
Von den im Innern der Steinlachalb gelegenen Punkten nimmt nur einer vermöge seiner Höhe und günstigen Lage eine Ausnahmestellung ein: der Gönninger Rossberg (869 m), der Beherrscher der Tübinger Landschaft, der denn auch längst als Aussichtsberg ersten Ranges weitberühmt ist. MIt Ausnahme des weniger günstig gelegenen Köbele ist er mit seiner Turmhöhe von 894 m der höchste Punkt der Alb diesseits der Killertalspalte. Dabei überragt er gegen Nordosten die benachbarten Grenzhöhen der Steinlachalb so sieghaft, dass er uns längst kein Unbekannter mehr ist; mit seiner wohlgebildeten Kuppenform und seinem niedlichen Begleiter, dem Kleinen Rossberg, der ihm wie ein Sohn und Ebenbild zur Seite steht, hat er schon vom Hohenstaufen an am Schmuck der von uns durchwanderten Landschaften der mittleren Alb teilgenommen und der Gebirgskette als bedeutsamer Abschluss gedient. Für diese Unterstützung empfängt er jetzt seinen Dank: in dichten Haufen scharen sich die mannigfaltig gestalteten Rand- und Vorberge von der Achalm bis zum Hohenstaufen zusammen, um die Aussicht des Rossbergturms zu verschönern. Dazu kommt der unermeßliche Überblick über die einsame, hügelreiche Albdecke. Fürwahr eine Stätte von erhebender Großartigkeit! Aber vom Schönheitsstandpunkt betrachtet lassen sich in der näheren Umgebung die Schwächen der Steinlachalb doch nicht ganz verleugnen. Gegen das Flachland verdeckt das vordere Rossfeld viel vom näheren Vorland, ohne selbst einen angenehmen Anblick zu bieten, und die Aussicht des Albsteilrands gegen Südwesten leidet unter der schon bemerkten nüchternen Schwere der Bergformen. Wirklich schön ist, wie gesagt, nur der Blick über den Pfullinger Berg weg zu der reichen Bergwelt der Zentralalb, namentlich auf Achalm und Georgenberg und auf den Neuffener Grat mit seinen Vorkegeln. Allein diese Glanzpartie ist bei durchschnittlicher Luftdichtigkeit doch schon ziemlich fern; und wer von dort herkommt und das alles wiederholt schon sozusagen an der Quelle genossen hat, wird vielleicht auch von diesem Teil der Rundsicht wenig ästhetische Anregung empfangen. Andernfalls wird der Reisende besser daran tun, die Steinlachalb in großem Bogen zu umfahren und den hierdurch gewonnenen Reisetag der Besichtigung Tübingens mit seiner reizenden Umgebung zu widmen.
Von den übrigen Vorbergen gewähren zwar die Riesensärge Filsenberg bei Öschingen (805 m) und Farrenberg bei Talheim freiere Tiefblicke in den Steinlachgau, während von den Punkten des Albfestlands der Randvorsprung Bolberg bei Willmandingen (884 m) sich durch seine gute Gesamtansicht des gegenüberliegenden Rossbergs und seine hübsche Schutzhütte, und die Binnenkuppe Köbele bei Salmendingen (901 m mit Aussichtsturm) durch ihre alles überragende Höhe, ihren guten Blick auf Tübingen und ihre malerische Ansicht des fein gedrechselten Nachbarkegels Kornbühl (Salmendinger Kapelle) und der aus unsichtbarer Tiefe auftauchenden Burg Hohenzollern auszeichnet. Aber alle diese Punkte lohnen die weiten und etwas einförmigen Wege wenigstens dann nicht genügend, wenn noch andere Albgebiete auf dem Reiseplan stehen. Gute Fußgänger, die vom Rossberg zum Zollern streben, mögen immerhin bei klarer Luft das Köbele nicht vergessen. Die Langeweile des Weiterwegs übers topfebene Heufeld wird durch die Überraschung aufgewogen, die am Rande des Starzeltals den Zollerfahrer erwartet.