Die schönsten Aussichtspunkte der Schwäbischen Alb

Eine vergleichende Übersicht von Otto Häcker 

5. Die Alb von Kirchheim bis Reutlingen (Zentralalb)

Quelle: Blätter des Schwäbischen Albvereins, XVII. Jahrgang 1905, Nr.3
(5.Fortsetzung)

Ermstal

So sind wir denn am Rande des Uracher Tals angelangt. Urach nennt sich die Perle der Schwäbischen Alb. Und in der Tat ist unter den vielen Perlen dieser Gebirgskette das Uracher Tal eins der wertvollsten. Der Reichtum an Wäldern, die zum Teil bis zum Talboden reichen und auch noch die Bergoberfläche weithin überdecken, die mannigfaltige Durchfurchung der Bergwände mit größeren und kleineren Tälern und Schluchten, die Menge an Felsen, Höhlen, Wasserfällen und allerhand hübschen Spaziergangszielen machen Urach zu einem Erholungsplatz ersten Rangs für alle, die Erfrischung der Nerven durch Bewegung in schöner Natur suchen. Aber auch vom flüchtigen Reisenden darf Urachs Umgebung eine ausführlichere Behandlung beanspruchen, als sie ihr gewöhnlich zu Teil wird. Es gibt hier nicht wie anderswo Punkte, die alle wesentlichen Bestandteile der Gegend mit einem Blick überschauen lassen. Die schon zu Eingang dieses Abschnitts hervorgehobene Eigentümlichkeit der Zentralalb, die man die Verteilung der Schätze nennen kann, besitzt Urach in besonders ausgeprägtem Maß. Die vier sich hier kreuzenden Täler sind gleichbedeutemd mit vier völlig verschiedenen Landschaftsstücken. Das breite, üppige Haupttal, das kühle, wildromantische Seeburger Tal, das waldstille, schluchtenreiche Elsachtal und das wundervolle, quelldurchrauschte Brühltal - jedes hat wieder seine eigenen Aussichtspunkte, die oft nur wenige Schritte von einander entfernt doch nach Stoff und Charakter ganz Abweichendes bieten. Aber es ist eine Verteilung, die bei dem Wert der einzelnen Schätze nicht als Zersplitterung empfunden wird.

Die zur Zurechtfindung verhältnismäßig geeignetste Umschau bietet der Hohenuracher Schlossberg (701 m), ein so recht im Mittelpunkt der Uracher Landschaft fast freistehender Kegel. Die Rundsicht vom Mauerumgang der großartigen Festungsruine umfaßt das Haupttal mit dem Gebirgsaustritt, das Elsachtal und besonders auch das Brühltal mit seinen beiden entzückenden Buchten, die der wunderbar regelmäßig geformte "Runde Berg" trennt. Nur der Einblick ins Seeburger Tal ist verwehrt; auch reicht über den Talrand hinaus der Blick wegen der Höhe der Randberge wenig. Aber auch in dieser Beschränkung ist das Rundbild noch so reich und wechselvoll, dass der Beschauer sich keiner Mängel bewußt wird. Wem es also nur um rasche Überblicke zu tun ist, der könnte sich mit der Besteigung von Hohenurach begnügen und hätte dann nur noch das Seeburger Tal besonders zu besuchen. Wer aber die Schwäbische Alb besucht, um ihre schönsten Landschaftsbilder zu genießen, dem bietet Hohenurach nicht alles und nicht einmal das vollkommenste. Wie wir schon draußen am Frontabfall der Alb oftmals die Erfahrung gemacht haben, dass die Randpunkte den Vorbergen an malerischer Wirkung der Aussicht überlegen sind, so ist's auch hier im Tal.

Vor allem verdient das Brühltal, dieses köstlichste Juwel Urachs, noch die Aufsuchung anderer Randpunkte, die auch den Anblick des seinen Eingang bewachenden Hohenuracher Schlossbergs selbst mit umfassen. Die Hochwiese am Uracher Wasserfall (614 m), die mit Recht jeder Fremde besucht, kann sich ja auch schon zu den Aussichtspunkten dieser Art rechnen. Aber noch herrlicher sind die Umblicke oben an den Felsrändern über dem Wasserfall. - Die großartigen Rutschenfelsen (750 m), die auf dem üblichen Weg von St.Johann nach Urach berührt werden, sind denn auch längst als einer der überraschendsten Aussichtspunkte der Alb bekannt. Und sie verdienen diesen Ruhm. Obgleich man hier nicht einmal das ganze Brühltal sieht - die Gütersteiner Talbucht fehlt, desgleichen der Wasserfall selbst - überwältigt doch der Blick in die jähe Tiefe und als Gegensatz dazu die Fernsicht über ein großes Stück der Albhochfläche, das von mehreren schönen Gipfeln - Neuffen, Teck, Breitenstein - überragt wird. - Aber noch erlesenere Standpunkte bieten die weniger bekannten Eppenzillfelsen (734 m), jene Reihe ansehnlicher Felsenköpfe, die über der Südwand der Wasserfallschlucht drohend hereinragen. Beherrscht vom Hohenuracher Schlossberg, der sich hier von seiner schlanksten und felsigsten Seite zeigt, liegt die anmutsvolle Talbucht vom Silberschweif des Wasserfalls an, der in der nahen Tiefe aus dunklem Laubdickicht hervorglitzert, bis zum zierlich gewundenen Austritt ins Ermstal offen da. Gerne treten wir auf mehrere der luftigen Felsenerker vor, um dasselbe Bild mit kleinen Abweichungen noch tiefer in das weihevoll gestimmte Gemüt aufzunehmen. Es ist ein Bild, in dem das Wilde mit dem Milden zu einer Harmonie des Schönen zusammengeflossen ist. Auch wer frisch von den großartigsten Alpengegenden kommt, kann sich dem Zauber des Orts nicht entziehen.

Quelle: Blätter des Schwäbischen Albvereins, XVII. Jahrgang 1905, Nr.9
Die schönsten Aussichtspunkte der Schwäbischen Alb
Eine vergleichende Übersicht von Otto Häcker (6.Fortsetzung)

Neben den Eppenzill- und den Rutschenfelsen darf der Sonnenfels (777 m), der an der vordersten Ecke derselben Talseite liegt und durch einen schattigen Randweg mit den erstgenannten Punkten verbunden ist, als Glanzpunkt der Uracher Landschaft bezeichnet werden.

Der Randweg bietet an der Bronnhalde beim Fohlenhof auch Gelegenheit zum Einblick in die verborgene Gütersteiner Talbucht, aus welcher der gleichfalls sehenswerte Gütersteiner Wasserfall sein Rauschen vernehmen läßt, während später der prächtige Gelbe Fels (nicht mit dem gleichnamigen auf der Teck zu verwechseln) den Ermstalblick des Sonnenfelsen im Voraus genießen läßt.

An ergreifender Eigenart ist er den Eppenzillfelsen ebenbürtig, an Großartigkeit der Fernsicht übertrifft er sie bei weitem. Zwar ist hier das Brühltal vollständig verdeckt, desgleichen das Seeburger Tal und das Elsachtal. Man sieht also von der Uracher Landschaft nur die Haupttalstrecke von Urach an abwärts. Und doch wie entzückend ist's, von diesem Außenpunkt hineinzublicken in die waldumkleidete Gebirgsspalte, in deren innerstem Winkel das schmucke Städtchen eingebettet liegt! Man versteht hier so recht, dass Urach das Waldparadies genannt wird. Freilich dieses Genusses wegen hätte man nicht nötig, so hoch zu steigen. Der kleine Vulkankegel Kalvenbühl (Kalvarienbühl, Kalverbühl, 509 m) am Sockel des Sonnenfelsen dicht über der Bahnstation Dettingen zeigt dasselbe Bild. Aber der Sonnenfels bietet noch mehr. Vermöge seiner vorgeschobenen und hohen Lage schweift der Blick auch hinaus zum Stirnrand der Alb und findet hier nicht minder Fesselndes. Der Albtrauf, der von vorn gesehen eine so mauerähnliche Ruhe zeigen kann, enthüllt hier eine geradezu ausschweifend bewegte Gliederung. die mehr oder weniger langgestreckten Vorgebirge zwischen Uracher und Neidlinger Tal (Neuffener Grat, Hohenneuffen, Bassgeige, Teck, Breitenstein) drängen sich alle hintereinander wetteifernd ins Unterland vor wie mächtige Fangarme eines Riesenkörpers, die begierig sind, die üppigen Gefilde draußen zu ergreifen, oder wie dunkle Wolkenfetzen, die ins bläuliche Flachland hereinhängen und die kleinen Metzinger Vulkankegel als helle Wölkchen vor sich herblasen; und besser als ein gelehrter Kurs der Geologie läßt uns ein Blick von dieser Felsenwarte die Entstehung der Schwäbischen Alb klar werden.

Gegenüber diesen Glanzpunkten des Westrandes wird der unscheinbarere Ostrand des Uracher Tals weniger beachtet. Und doch ist auch hier ein Berg von entschiedener Bedeutung. Es ist die Eichhalde (732 m), die auf ihrer stark halbstündigen, fast ebenen Randstrecke nicht nur Gelegenheit gibt, die merkwürdigen Uracher Höllenlöcher kennen zu lernen, sondern auch dreierlei ganz verschiedene Aussichten von hervorragender Schönheit bietet: von der vorderen (Dettinger) Ecke, die den Namen "Buckleter Kapf" führt, hinaus zum Austritt des Uracher Tals in die Ebene, wo zwischen Sonnenfels und Neuffener Grat der große Flecken Dettingen aufs anmutigste eingebettet liegt, dann von der Westkante, die mit den Höllenlöchern und "Nägelesfelsen" geziert ist, hinüber zur entgegengesetzten Talseite, deren wundervolle Durchbuchtung mit all ihren Schmuckstücken (Hohenurach, Runder Berg, Wasserfall, Güterstein, Rutschen- und Eppenzillfelsen) so vollständig wie nirgends vor dem Auge vorüberzieht, endlich von der hinteren (Uracher) Ecke, die den Namen Breitenstein (oder Egis) trägt, hinein ins köstliche Seeburger Tal, dessen erste, von Häusergruppen belebte Strecke hier zum erstenmal dem Blick sich öffnet. Ja auch ein Streifblick ins Elsachtal (namentlich das Zittelstatter Seitentälchen mit der Ulmer Steige) fehlt nicht. Und so ist die Eichhalde, wenn man ihrer verschiedenen Standpunkte zusammenrechnet, derjenige Aussichtsberg der Uracher Gegend, der am ehesten alle ihre wesentlichen Landschaftsstücke vereinigt. Wenn einmal der rastlose Albverein daran kommt, die verschiedenen Ausblicke besser freizulegen und das Wegenetz des Berges übersichtlicher zu gestalten, so gibt es keinen geeigneteren Morgenspaziergang von Urach als auf diese Höhe, wie auch auf dem Übergang zwischen Hohenneuffen und Urach der Umweg über die Eichhalde schon jetzt entschieden zu empfehlen ist.

Ein überaus ergiebiges Landschaftsstück des Uracher Gebiets ist auch das Seeburger Tal mit seinen Randhöhen, ergiebiger als die meisten Fremden ahnen, die nur die Talstraße kennen. Allerdings ist gerade in diesem Tal zur Abwechslung eine Wanderung in der Talsohle entschieden zu empfehlen, sei es auf der Straße oder drüben auf dem „Grünen Weg". Während nämlich die übrigen Waldtäler der Neckarseite so weite und offen Mulden haben, dass längere Talmärsche nicht nötig und nicht einmal lohnend sind, sondern Umblicke von einzelnen Randfelsen genügen, finden wir hier am Oberlauf der Erms eine so schroff eingegrabene Felsspalte mit so tief hinabreichenden Wäldern und Felsen, wie sie sonst nur auf der Donauseite der Alb vorkommen, und so ist auf dieser Talstrecke, die den schönsten Tälern der Donauseite ebenbürtig ist, eine Betrachtung von unten notwendig, um ein vollständiges Bild zu bekommen. Dennoch bestätigt sich auch hier die Erfahrung, dass die köstlichsten Landschaftsgenüsse auf den Höhen zu finden sind, und können wir es dem Naturfreund nicht ersparen, auch hier wieder berghinan zu steigen.

Die beiden gewaltigen Torpfeiler des oberen Ermstals, der Tiergartenberg (oder "die Hann", 707 m) zur Rechten und der Uracher Hochberg (717 m) zur Linken sind bei weitem die reichhaltigsten Aussichtspunkte am Rande des Seeburger Tals; ja sie sind eigentlich dessen einzige Aussichtspunkte im strengen Sinn. Denn während die weiter hinten gelegenen Punkte fast nur noch beschränkte Talansichten gewähren, reicht hier die Aussicht in die Ferne: sie umfaßt auch die untere Gebirgsstrecke des Ermstals mit einem Stück Flachland, und das Elsachtal mit einem Stück Alboberfläche. - Ermstalabwärts bietet der Tiergartenberg vom vorderen Hannerfelsen aus, der Hochberg von der "Michelskapel" aus prächtige, malerische Talansichten, beide nach Stoff ähnlich, nach Anordnung verschieden. Schlichter, aber zur Abwechslung wohltuend, ist der Elsachtalblick einerseits von den mittleren Hannerfelsen, andererseits von den vorderen Hochbergfelsen. Am entzückendsten aber sind die Blicke ermstalaufwärts auf die vordere Strecke des Seeburger Tals, wo inmitten der saftigen Wiesen und starren Felsen von Alters her allerhand Gewerbestätten ihr Wesen treiben. Die günstigsten Ausblicke nach dieser Seite finden wir einerseits auf dem letzten und größten der Hochbergfelsen, der von dern Urachern der "Kunstmühlefels" genannt wird, andererseits an dem hinteren, dem Rottentälchen zugewandten Felsenrand der Hann, der noch wenig beachtet und nicht einmal recht zugänglich gemacht ist. - Mindestens einen der beiden Bruderberge, die mit ihren Waldanlagen die beliebtesten Spaziergangsziele der Uracher sind, sollte auch der Fremde kennen lernen. Morgens möge er dem Hochberg, nachmittags dem Tiergartenberg den Vorzug geben. Aber auch wenn er beide nach einander besucht, wird er nicht das Gefühl der Wiederholung oder Übersättigung haben.

Von den weiter hinten im Seeburger Tal gelegenen Randhöhen, die Talausblick und stets zugleich auch sehenswerte Felspartien bieten, werden von Fremden eigentlich nur zwei mitunter aufgesucht, die Burgruinen Hohenwittlingen (691 m) und Baldeck. Beide Punkte sind schön und besuchenswert, bieten aber nicht das Vollkommenste an Talbildern. Nur in Kürze wollen wir dem Naturfreund einige Höhepunkte verraten, wo das Seeburger Tal seine volle Landschaftspracht enthüllt. Es sind auf der nordöstlichen (von Urach aus linken) Seite die Hardtbergfelsen, deren Aussicht aber dem Kunstmühlefels des benachbarten Hochbergs zu ähnlich ist, um einen besonderen Besuch zu erfordern; dann der mittlere unter den Hockenlohfelsen, die auf dem Höhenwaldweg zwischen Hohenwittlingen und Baldeck berührt werden und wo das Auge durch eine Reihe von Talverschiebungen bis hinaus zum Jusi und einem fernen Stück Unterland dringt; und endlich der Baldecker Burgenblick, ein Felsenbänkchen, das von der Ruine Baldeck auf reizendem, ebenem Waldpfad in 10 Minuten erreicht wird, auf das schon Klett in Jahrg. 1892 S.158 dieser Blätter aufmerksam gemacht hat. Der bei Abendbeleuchtung günstige Blick von hier aus auf den Talschluß mit dem Schlösschen Uhenfels gehört zum bezauberndsten, was die Schwäbische Alb bietet. - Noch unbekannter und doch nicht minder vorzüglich sind die Ausblicke der entgegengesetzten (südwestlichen) Seite des Seeburger Tals, alle bei Nachmittagsbeleuchtung zu besuchen. Hier gebührt der Preis den Schorrenfelsen (687 m) am Rande der anmutigen Sirchinger Heide, von der Stadt Urach aus kenntlich als letzte ansehnliche Felspartie der rechten Talseite, unterhalb deren die beiden Waldfurchen der alten und neuen Sirchinger Steige sich der Albkante nähern. Dieser hochherrliche Felsenpunkt, der noch nirgends in der Literatur erwähnt und bis jetzt weder durch einen Wegzeiger noch durch ein Bänkchen kenntlich gemacht ist, zeichnet sich neben einer schönen Ansicht von Urach namentlich durch seinen Einblick in die gegenüberliegende Wittlinger Schlucht aus, die mit Ruine und Dorf Wittlingen eine Gruppe von ungewöhnlichem Reiz bildet. Dann ist auf dieser Seite noch eines Besuchs würdig der reizende Blick auf den Talschluß von der Burggaststätte Blankenhorn, die an der engsten Stelle des Tals gegenüber von Baldeck ein ganz verborgenes Dasein führt, oder, so lange hier die Aussicht noch nicht recht freigelegt ist, von einem Bänkchen, das 5 Minuten vorher auf dem Waldweg vom Sirchinger Wasserfall nach Blankenhorn berührt wird und Sirchinger Seeburgblick genannt werden mag. Denn der Punkt bildet ein Gegenstück zum Baldecker Seeburgblick und wetteifert mit ihm an malerischem Reiz.

An dem überaus reizenden Schluß des Seeburger Tals ist nur noch ein Höhepunkt zu nennen und allen Fremden dringend zum Besuch zu empfehlen, zumal er vom Seeburger Löwenwirtshaus in 3 Minuten Steigens erreicht ist. Es ist der Schlösslesberg, d.h. nicht der Berg, auf dem das neuzeitliche Felsenschlösschen Uhenfels thront, sondern der Felsenhügel, der die ehemalige Festung Seeburg trug und wo jetzt nur noch eine bescheidene Holzhütte ins Tal schaut. So unbedeutend die Anhöhe ist, so überrascht sie doch durch einen so vollkommenen Rundblick in alle vier bei Seeburg zusammenlaufenden Felsentäler, dass die Ersteigung aller umliegenden höheren Randberge überflüssig ist.

Mancher kundige Leser wird es vielleicht dem Verfasser schon im Stillen zum Vorwurf gemacht haben, dass er sich in einem Aufsatz, der die bedeutendsten Aussichtspunkte der Alb hervorheben will, mit solchen Kleinigkeiten abgebe, wie es die kaum von den Einheimischen recht gekannten Felsenränder des Seeburger Tals sind, während er die eigentlichen Gipfel ganz vergesse, jene beherrschenden, die Albhochfläche noch weit überragenden Kuppen mit ihren unbegrenzten Fernsichten, die vom Albverein als die würdigsten Stellen für seine Aussichtstürme erkannt sind, als da sind Römerstein, Föhrenberg, Buchhalde, Sternberg. Gewiß ist es ein Verdienst des Albvereins, mit der landläufigen Ansicht aufgeräumt zu haben, als ob die Alboberfläche eine reizlose Öde sei. Aber wir müssen uns auch vor Übertreibung hüten. Ist auch im Vergleich mit jeher hergebrachten Anschauung von der "Rauhen Alb" die Oberfläche des Gebirgs überraschend schön und mannigfaltig, so bleibt sie doch einförmig und minderwertig im Vergleich mit den Rändern des Gebirgs; und wer es mit dem Ruf der Alb gut meint, der darf die Fremden, die das Schönste sehen wollen, nicht von den Rändern ins Innere ablocken. Die Neigung zur Überschätzung der Alboberfläche rührt vielleicht weniger von den Höhenbewohnern selbst her, die etwa der Anlockung wegen die Reize ihrer Gegend anpreisen, als von den Talbewohnern, gerade von denen, die in den schönsten Felsentälern sitzen. Gegen die Reize ihrer Umgebung durch die Gewohnheit abgestumpft streben sie am liebsten weg von den Abgründen jenen freien Flächen zu, wo Luft- und Lichtfülle und ferner Alpenhorizont sie umfängt. Aber der unbefangene Fremdling, dem die Landschaft oben und unten gleich neu ist, urteilt anders. Ihm dünkt's am schönsten draußen am Rande der Felsenabgründe, wo Formen- und Farbengegensätze von Oberland und Unterland auf einander stoßen. Die Albhochfläche ist ihm ganz lieb als Gegensatz zu den Tiefen, als Einzelstück im Bilde; für sich allein betrachtet aber erscheint sie ihm als unbedeutendes und - es ist nicht zu leugnen - rauhes Hügelland. - So ist der höchste Punkte der Uracher Gegend, die Buchhalde bei Dottingen (870 m), deren Rundschau ausschließlich die Albhochfläche umfaßt, vom landschaftlichen Standpunkt aus entschieden minderwertig, wenn nicht zufällig die fernen Alpen offen liegen. Ein etwas günstigeres Zeugnis gebührt dem noch ein wenig höheren Römerstein bei Gutenberg (884 m), der einige Einblicke ins Lenninger Tal hat, und dem leicht zu erreichenden Sternberg bei Offenhausen (843 m), in dessen nächster Umgebung die Alboberfläche etwas anmutiger als sonstwo ist. Die beste, eines Aussichtsturms würdigste von der genannten Kuppen der Albhochfläche - viele andere mögen ungenannt bleiben - ist der Föhrenberg bei Rietheim (857 m). Er kann eigentlich fast zu den Randpunkten gerechnet werden; denn er steht so nahe am Seeburger Tal, dass er Einblicke in dessen Grund hinab und einen Überblick über das ganze Wald- und Felsenrevier der Erms gewähren würde. Aber gerade hier fehlt bis jetzt ein Turm, der auch dem Seeburger Tal sehr zur Zierde dienen würde, und so sieht man derzeit wegen der dichten Bewaldung fast gar nichts.

Also eilen wir wieder vor zu den Felsenrändern, deren Glanzpartien auf dem Weiterweg gegen Westen immer noch nicht aufhören, ja sich noch zu steigern scheinen! - Die zwischen Erms und Echaz sich erhebende Sankt Johanner Platte, die dritte und größte unter den Gebirgshalbinseln der Zentralalb, ist mit ihren gewaltigen Felsenkanten und ihren gut gebahnten Randpfaden eines der ausgezeichnetsten Wandergebiete der Alb. Ihre Aussichtspunkte sind denjenigen der benachbarten Neuffener Platte an malerischer Schönheit ebenbürtig, an Großartigkeit überlegen. Der Reichtum an schönen Wäldern und Weiden macht selbst das Innere dieses Gebirgsstücks so anmutig, dass hier ausnahmsweise auch ein Binnenpunkt dem Besuch empfohlen werden kann, zumal da er nicht allzuweit vom Rand entfernt liegt. Es ist die Hohe Warte bei St.Johann (819 m), die höchste Erhebung des ganzen Gebirgsteils. Ihr Waldturm, an dem der Fußgänger von St.Johann zum Fohlenhof des Waldschattens wegen ohnedies vorbeigehen wird, gewährt einen so guten Rundblick über die Alboberfläche weit und breit, dass er die Aufsuchung aller übrigen Aussichtspunkte des Innern der Alb entbehrlich macht.

Aber schöner ist's doch auch hier an den Rändern. Der Ostrand gegen das Uracher Tal vom Föhrenberg bis zum Sonnenfelsen ist uns ja bereits bekannt. Aber auch die Stirnseite der St.Johanner Platte, die sich vom Sonnenfelsen bis zum Mädchenfelsen über 8 Stunden weit erstreckt, bietet wieder Neues und Bedeutendes. Sie scheidet sich wieder in zwei Hälften von ganz verschiedener Natur, den Glemser Felsenrand, der dem Ermsvorland zugekehrt ist, und die Eninger Berge, die sich nach der Echazseite wenden.

Von den einzelnen Punkten des Glemser Felsenrandes, der auch "Dettinger Rossberg" genannt wird, ist der Grüne Fels (802 m) von Alters her bekannt und beliebt und selbst im "Baedeker" als einer der reizendsten Aussichtspunkte der Alb gepriesen. Man sieht hier zwar viel Flachland, wenig Vorberge und wenig Felsen. Aber der nächste Talvordergrund, wo das Dörflein Glems mit seinem Kirschenwald in schöngerundeter Talbucht eingebettet liegt, ist hier ganz besonders lieblich. - Übrigens ist der Vorrang des Grünen Felsen vor seinen Nachbarn nur ein zufälliger, kein sachlich begründeter. Er rührt wohl nur daher, dass dieser Fels, an dem die alte Albsteige von Neuhausen a.d.Erms heraufführt, am frühesten zugänglich war. Unbefangen betrachtet sind ihm seine beiden Nachbarn Wolfsfels und Rossfels vorzuziehen. - Der westlich benachbarte, gleich hohe Wolfsfels, noch sehr wenig besucht und in sehr vernachlässigtem Zustand, ist eigentlich der schönste von allen Punkten dieses Felsenkranzes. Er bietet nicht nur seitwärts einen freien Überblick über die Albhochebene bis zum Lichtenstein, sondern auch das Vorderbild zeichnet sich durch noch kunstvollere Abrundung aus und seine Umrahmung ist noch durch die seltsamen Fünffingerfelsen geschmückt, die dem Grünen Felsen so nahe und dennoch dort unsichtbar sind. Auch hat der Wolfsfels nachmittags günstigere Beleuchtung als der Grüne Fels und beansprucht auf dem Weg von Reutlingen nach Urach einen kürzeren Umweg und von St.Johann einen kürzeren Abstecher als jener. Freilich ist er bis jetzt ohne Führer fast nicht zu finden. - Auch der östlich benachbarte, sehr ansehnliche Rossfels hat noch vollen Anteil an dem Einblick in die weltabgeschiedene Glemser Talbucht und dabei einen freieren Blick nach beiden Seiten, namentlich auf die Achalm, die sich dem Grünen Felsen nur halb versteckt zeigt. - Erst auf dem nächsten Punkt gegen Osten, dem Olgafelsen (786 m), ist die liebliche Talbucht dem Auge entrückt. Der dafür sich öffnende Blick nach Osten auf den Hohenneuffen und seine Umgebung ist zwar überraschend schön, wird aber von der schon oben beschriebenen Aussicht des nahen Sonnenfelsen übertroffen, der jedenfalls in diese Felsenrandwanderung eingezogen werden möge. Wem die ganze Rundwanderung nicht auf dem Wege liegt, der begnüge sich mit den beiden Endpunkten Wolfsfels und Sonnenfels, die alles Wesentliche zeigen.

Noch ein Punkt wäre hier zu rühmen, aber weniger für die Gegenwart als für die Zukunft. Es ist der Grasberg (778 m), jener massige Vorsprung, der dem Grünen Felsen und seinen Nachbarn die Aussicht nach der Reutlinger Gegend verdeckt. Er wäre vielleicht zum bedeutendsten Aussichtspunkt der St.Johanner Platte berufen. Denn er ist vermöge seiner freien, vorgeschobenen Lage der einzige Punkt ihrer Stirnseite, der deren ganzen Aussichtsstoff nach beiden Seiten - sowohl nach dem Erms- als nach dem Echazgebiet - umfaßt und überdies eine Oberflächenübersicht gewährt, die derjenigen der Hohen Warte nahe kommt. Dabei wäre der Blick nach Osten insofern einzig in seiner Art, als der mehrerwähnte schöne Einblick in die Glemser Talbucht hier noch durch eine Gesamtansicht des gegenüberliegenden Felsenrandes mit all seinen Zinnen vom Wolfsfelsen bis zur Sonnenfelsenecke geschmückt wäre, wie sie sonst an keinem Punkte möglich ist. Aber gerade dorthin ist die Ausschau durch den Randwald vollständig gehindert. Wenn einmal der Albverein einen Randpfad um die Glemser Waldbucht vom Grünen Felsen bis hieher gebaut und durch einen Aussichtsbau oder wenigstens Waldaushiebe die verborgenen Schätze der Aussicht freigelegt haben wird, so wird der Grasberg keine unbekannte Größe mehr sein.

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